BGH: Bei Verwendung des richtigen Schlüssels für Öffnen des Tresors durch unbefugte Angestellte besonders schwerer Diebstahl (+)
Der BGH hat in einem Beschluss vom 5. August 2010 (BGH 2 StR 385/10) entschieden, dass bei Verwendung des richtigen Tresorschlüssels durch eine unbefugte Person das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB erfüllt und damit eine Strafbarkeit wegen besonders schweren Diebstahls gem. §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB zu bejahen ist.
Sachverhalt (vereinfacht)
A hat sich dazu entschlossen, Geld aus der Postfiliale zu entwenden. Dort ist A als Angestellte am Schalter eingesetzt. Zunächst nimmt A 11.000 Euro Bargeld vom Schalter an sich. Anschließend bittet sie ihren Kollegen darum, sie beim Bedienen eines Kunden am Schalter zu vertreten. Diese Ablenkung nutzt sie dazu aus, um unbeobachtet den in der offenen Kasse am Schalter ihres Kollegen liegenden Schlüssel zum Haupttresor an sich zu nehmen, den sie grundsätzlich nicht benutzen durfte. Sie öffnet damit den Tresor und entnimmt daraus weitere 113.000 Euro Bargeld. Mit ihrer gesamten Beute verlässt sie die Postfiliale und flieht.
Lösung
I. Strafbarkeit der A gemäß § 242 Abs. 1 StGB durch Entwenden der 11.000 Euro vom Schalter
1. Tatbestand
a. obj. TB
aa. Tatobjekt: fremde, bewegliche Sache
bb. Tathandlung: Wegnahme
Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Gewahrsam ist die tatsächliche Sachherrschaft getragen von einem natürlichen Herrschaftswillen, wobei dieser auch von mehreren Personen gleichrangig oder nachrangig ausgeübt werden kann.
Dass A am Schalter tätig war und auch für die Herausgabe der Geldscheine an Kunden zuständig war, könnte für eine alleinige Sachherrschaft sprechen.
(P) Gestufter Mitgewahrsam
Hier ist jedoch zu beachten, dass A nur Angestellte der Postfiliale war. Neben ihr besaß auch der Filialleiter ein jederzeitiges und tatsächliches Zugriffsrecht auf die Scheine. Er übte somit übergeordneten Mitgewahrsam an den Geldscheinen am Schalter aus. Diesen hat die A durch die Ansichnahme der 11.000 Euro gebrochen.
=> Wegnahme (+)
b. subj. TB
A handelte vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht
2. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
Ergebnis: A hat sich durch die Entnahme der 11.000 Euro vom Schalter wegen eines Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
II. Strafbarkeit der A durch Ansichnahme des Schlüssels wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB
Darüber, was mit dem Schlüssel zum Haupttresor passiert ist, finden sich im Sachverhalt keine weiteren Informationen. Würde man den Sachverhalt so ergänzen, dass A den Schlüssel im Tresor stecken ließ, so würde man hier zu dem Ergebnis kommen, dass ein Diebstahl am Tresorschlüssel mangels auf Dauer angelegter Enteignung der Sache und fehlendem bedingtem Vorsatz ausscheidet. In der Klausur würde man in dubio pro reo eine Strafbarkeit durch Ansichnahme des Schlüssels verneinen. Wichtig ist hier nur, nicht direkt auf das Entwenden der 113.000 Euro aus dem Tresor einzugehen, sondern zumindest kurz die Wegnahme des Schlüssels zu problematisieren.
III. A könnte sich durch die Entwenden der 113.000 Euro aus dem Tresor wegen Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand
a. Obj. Tatbestand
aa. Tatobjekt: fremde, bewegliche Sache (+)
bb. Wegnahme (+)
b. Subj. Tatbestand
aa. Vorsatz (+)
bb. Zueignungsabsicht (+)
2. Rechtswidrigkeit (+)
3. Schuld (+)
4. Strafzumessung
(Hier liegt der eigentliche Schwerpunkt dieses BGH Beschlusses.)
A könnte einen besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 S. 2 StGB verwirklicht haben.
a. Ein Einbruchsdiebstahl gem. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB scheidet vorliegend aus, da es sich bei dem Tresor nicht um einen umschlossenen Raum i.S.d. Nr. 1 handelt. Denn ein umschlossener Raum ist jedes Raumgebilde, das dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden, und das mit mindestens teilweise künstlichen Vorrichtungen zur Abwehr des Eindringens Unbefugter umgeben ist. (BGHSt 1, 158 (164)). Der Tresor stellt jedoch kein derartiges Raumgebilde dar.
b. Bei dem Tresor könnte es sich jedoch um ein verschlossenes Behältnis i.S.d. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB handeln. Der Tresor diente als Behältnis der Sicherung der darin aufbewahrten 113.000 Euro vor unbefugtem Zugriff.
(P) A hat als Unbefugte den Tresor mit dem richtigen Tresorschlüssel geöffnet
Problematisch ist hier jedoch, dass A den Tresor mit dem dazugehörigen Schlüssel ohne weitere Überwindung der Sicherung geöffnet hat. Es ist fraglich, ob A damit eine Sache gestohlen hat, die durch ein verschlossenes Behältnis gegen Wegnahme besonders gesichert ist.
Der BGH führt dazu in dem Beschluss aus:
Dient das Behältnis nach seiner erkennbaren Zweckbestimmung wenigstens unter anderem auch zur Sicherung der darin aufbewahrten Sache gegen Diebstahl, wie es bei einem Tresor idealtypisch der Fall ist, dann ist das verschlossene Behältnis ein Spezialfall einer Schutzvorrichtung im Sinne der Vorschrift. Das Regelbeispiel setzt voraus, dass das Behältnis verschlossen ist.
Weitere Sicherungen, etwa durch Wegschließen des Schlüssels, sind danach zu seiner Erfüllung nicht mehr erforderlich. Der Täter muss – sofern er nicht sogar die Sache mitsamt dem Behältnis stiehlt – die Sicherung überwinden, wobei es aber nicht darauf ankommt, wie er das bewirkt (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 403). § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB betont nämlich die besondere Sicherung des Diebstahlsobjekts, während § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB besondere Arten der Tatausführung bei einer allgemeinen Sicherung des Gegenstands hervorhebt; auf eine besondere Gestaltung der Tathandlung über das Überwinden der Sicherung hinaus kommt es dagegen bei § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB nicht an (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1988, 3028). Daher scheidet die Anwendung des Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall des Diebstahls wegen der Wegnahme einer Sache aus einem verschlossenen Behältnis auch dann nicht aus, wenn der Verschluss mit dem dafür vorgesehenen Schlüssel geöffnet wird. Allenfalls dann, wenn der Benutzer des Schlüssels zu dessen Verwendung befugt ist, könnte für ihn die Eigenschaft des Behältnisses als besondere Diebstahlssicherung entfallen (vgl. OLG Hamm, JR 1982, 119 mit abl. Anm. Schmid; Schmitz in MünchKomm, StGB, 2003, § 243 Rn. 35). Jedenfalls wenn ein Unbefugter den Schlüssel an sich nimmt und er damit das Behältnis öffnet, überwindet er die Diebstahlssicherung, die sich aus dem Verschlusszustand des Behältnisses ergibt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2010, 48; Fischer, StGB, § 243 Rn. 17; LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 243 Rn. 32).
Ergebnis: Mithin hat sich A durch die Anssichnahme der 113.000 Euro aus dem Tresor eines Diebstahls in einem besonders schweren Fall gem. §§ 242, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB schuldig gemacht.
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