Sachverhalt der 2. ÖffRecht Examensklausur – Dezember 2010 -1. Staatsexamen NRW
Die Sozialversicherung ist im SGB VII geregelt. Wenn ein Arbeitnehmer einen Arbeitsunfall hat und medizinische Versorgung und Rehamaßnahmen braucht, springt die Soziaversicherung ein. Die Unternehmen in Deutschland sind zu diesem Zweck in Berufsgenossenschaften organisiert. Sie zahlen an die Berufsgenossenschaften die Beiträge. Die Genossenschaften sind bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 87 II 1 GG). Der Gesetzgeber will das Soziaversicherungswesen effizienter und wirtschaftlicher gestalten. Dazu reformiert er § 200 SGB VII. Danach können mehrere Berufsgenossenschaften, die branchenähnlich sind, zusammengelegt werden. Zuvor hat ein Appell des Bundes, sich freiwillig zusammenzuschließen nicht gefruchtet. Zudem reformiert der Bund § 201 SGV VII. Danach haben Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte nach § 200 SGB VII keine aufschiebende Wirkung. Die Berufsgenossenschaft X, die fürchtet, mit der größeren Genossenschaft Y zusammengelegt zu werden, hält die geplante Regelung für verfassungswidrig. Es gibt insgesamt 35 Genossenschaften.
Die Regelung verletze sie in ihrem Eigentumsrecht und ihrem Recht auf Selbstverwaltung. Zudem würden die Mitglieder in ihrem Eigentumsrecht beeinträchtigt, weil höhere Beiträge drohten.
Selbst wenn der Bund nicht anerkennt, dass die Genossenschaft in ihren Grundrechten verletzt ist, weil sie nicht grundrechtsberechtigt sei, so sei sie doch durch § 201 SGB VII in ihrem Recht aus Art. 19 IV GG verletzt. Zudem sei § 200 SGB VII ein Einzelfallgesetz.
Prüfen sie die Verfassungsmäßigkeit von §§ 200, 201 SGB VII umfassend – notfalls hilfsgutachterlich.
Die Normen des SGB VII waren nicht zu prüfen, sind kein Teil der zugelassenen Gesetzessammlung und waren auch nicht abgedruckt.
Es ist zu unterstellen, dass die Beiträge tatsächlich erhöht werden könnten, jedoch höchstens auf den Wert der beitragsintensivsten der beteiligten Körperschaften.
Hart!
Wo ist denn die Lösung?
😀
A) Formelle VM
EGL: 86 S. 1?
Verfahren (+)
B) Materielle VM (Verstoß gegen höherrangiges Recht)
a) Art. 14 der BGen (-) (Art. 14 schützt Eigentum Privater, aber nicht Privateigentum)
b) Art. 19 IV: Was denn da bitte?
c) Art. 14 der Mitglieder (-) weil noch nicht erdrosselnd
d) Verbot d. Einzelfallgesetz es (-) sonst könnten da ja nicht Gesetze erlassen werden
????
Harte Sache!
NVwZ-RR 2001, 93 könnte teils passen
Es wäre echt toll, wenn Ihr wenigstens ansatzweise eine Lösung veröffentlichen könntet.
I.) Also ich würde für die Gesetzgebungskompetenz auf Art. 86 GG sowie hilfsweise den Katalog in Art. 74 GG zurückgreifen. (Hier: Art. 74 Nr. 12) und ein weites Verständnis des Begriffes Sozialversicherung vorschlagen.
II.) Die Berufsgenossenschaften könnten grundrechtsberechtigt sein in Bezug auf Art. 14 GG.
Zwar sind grundsätzlich Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht grundrechtsberechtigt. Jedoch ist ein als ö-r Körperschaft organisierter Berufsverband dann Grundrechtsträger, soweit er allein die gewerblichen Interessen seiner Mitglieder wahrnimmt (Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 24). Doch hier erfüllen die Genossenschaften mE auch öffentliche Aufgaben. Zudem fehlt es an der Grundrechtsträgerschaft, soweit es um die Schaffung, Veränderung oder territorialen Zuschnitt des Verbandes geht (BVerfG-K NVwZ 1994, 262). Dies dürfte hier der Fall sein, sodass sich die Genossenschaft nicht auf Art. 14 berufen kann.
III.) Art. 87 II GG verlangt einen Grundbestand an Selbstverwaltung. Allerdings beinhaltet das Recht auf Selbstverwaltung alleine kein Bestandsrecht der Körperschaft sondern garantiert diese Selbstverwaltung nur innerhalb der konkreten Grenzen, die durch Gesetz gezogen werden.
IV.) Es ist umstritten, ob Abgaben und Beiträge der Mitglieder überhaupt Art. 14 GG unterfallen. Der erste Senat des BVerfG hat entschieden, dass Abgaben und Beiträge nicht in den Schutzbereich des Art. 14 GG fallen, da dieser nur einzelne Rechtspositionen, nicht das Vermögen als solches schütze (BVerfGE 75, 108). Der zweite Senat lässt die Frage offen (BVerfGE 105, 17). Jedenfalls muss die Abgabe eine derart hohe Belastungswirkung haben, dass sie einem Eingriff gleichsteht.
Das ist hier nicht der Fall.
V.) Ob sich die Genossenschaft überhaupt auf Art. 19 IV berufen kann, ist stretig. Ganz überwiegend wird das wie bei Art. 14 GG abgelehnt (Nachw. bei Jarass Art. 19 Rn. 48). Jedoch ist es mE hier vertretbar, bei einem „Prozessgrundrecht“ anders zu entscheiden als bei den Freiheitsgrundrechten und der Genossenschaft ausnahmsweise eine Grudrechtsträgerschaft zuzugestehen (offen gelassen hat es das BVerfG 61,82).
Art. 19 IV GG garantiert den Zugang zu den Gerichten, der nicht ungerechtfertigt erschwert werden darf. Darüber hinaus ist der effektive Rechtsschutz, das heißt eine tatsächliche, wirksame Kontrolle garantiort (BVerfGE 84, 34). Kurz lässt sich sagen, dass durch das Wegfallen der Aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs Art. 19 IV nicht verletzt wird, da die Möglichkeiten einstweiligen Rechtsschutzes gem. § 80 V und 123 VwGO gleichwertig iSv Art. 19 IV sind. (BVerfGE 51, 268). Eine verletzung v. Art. 19 IV ist damit ausgeschlossen.
VII.) Ein Einzelfallgesetz liegt schon deshalb nicht vor, weil alle Regelungsadressaten von einer Zusammenlegung betroffen sein können.
wäre die Gesetzgebungskompetenz nicht vielmehr aus der natur der sache herzuleiten? da die genossenschaften als bundesuntmittelbare körperschaften geführt werden (vgl. SV und Art. 87 II GG), daraus ergibt sich doch letztlich, dass der bund darüber nur entscheiden kann
An eine Natur-der-Sache-Kompetenz habe ich auch gedacht. Aber das ist ja nur ein Auffangtatbestand, solange keine ausdrückliche Kompetenz vorliegt. Aber die würde ich gerade in Art. 86 GG erblicken.