Zivilrechtliches Diskriminierungsverbot wegen des Alters: BGH bleibt seiner Linie treu
Wir freuen uns, folgenden Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) veröffentlichen zu können. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn und Wissenschaftlicher Beirat des Juraexamen.info e.V.
Der BGH entschied vor einiger Zeit in der Rechtfertigung großzügig zu Adults-only-Hotels: Hotels können Kinder den Zutritt versagen und Familien außen vor lassen, wenn sie sich in ihrem Geschäftskonzept eben dezidiert an kinderlose Gäste wende, die Ruhe suchen (BGH, Urteil vom 27. Mai 2020 – VIII ZR 401/18, BGHZ 226, 145-161). Nun ging es ebenfalls um eine mögliche Rechtfertigung der Unterscheidung nach dem Alter, wenn auch nicht für eine Zurückweisung wegen zu geringen, sondern wegen zu hohen Alters – und es ging nicht um ein Hotel, sondern um eine Musikveranstaltung (Urteil vom 5. Mai 2021 – VII ZR 78/20).
Der seinerzeit 44-jährige Kläger wollte 2017 ein von der Beklagten veranstaltetes Open-Air-Event in München besuchen, bei dem über 30 DJs elektronische Musik auflegten. Die Veranstaltung hatte eine Kapazität von maximal 1.500 Personen, ein Vorverkauf fand nicht statt. Ein Ticket konnte erst nach Passieren der Einlasskontrolle erworben werden. Dem Kläger sowie seinen beiden damals 36 und 46 Jahre alten Begleitern wurde der Einlass verwehrt. Zu alt! Vorprozessual teilte die Beklagte dem Kläger mit, Zielgruppe der Veranstaltung seien Personen zwischen 18 und 28 Jahren gewesen. Aufgrund der beschränkten Kapazität und um den wirtschaftlichen Erfolg einer homogen in sich feiernden Gruppe nicht negativ zu beeinflussen, habe es die Anweisung gegeben, dem optischen Eindruck nach altersmäßig nicht zur Zielgruppe passende Personen abzuweisen. Der Kläger hielt das für eine unzulässige Altersdiskriminierung und klagte auf Entschädigung gemäß § 19 Abs. 1, § 21 Abs. 2 AGG In Höhe von 1.000 € sowie den Ersatz der Kosten eines vorangegangenen Schlichtungsverfahrens in Höhe von 142,80 €, jeweils nebst Zinsen.
In den Instanzen blieb der Kläger erfolglos – und auch der BGH gab dem für seine AGG Klagen bundesweit bekannten Kläger nicht recht. Entscheidend waren die §§ 19, 20 AGG:
§ 19 AGG
(1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die 1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen … …ist unzulässig.
§ 20 AGG
(1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung 1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient, 2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt, 3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt, 4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.
Das Landgericht ist der Meinung, dem Kläger stehe kein Entschädigungsanspruch wegen Verstoßes gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG zu, da dessen Anwendungsbereich nicht eröffnet sei. Das Benachteiligungsverbot sei auf Massengeschäfte (Fall 1) beschränkt, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (wie etwa Einzelhandel, Personennahverkehr, Kino, Schwimmbäder), oder diesen gleichgestellte Geschäfte, bei denen für den Anbieter einer Leistung nach der Art des Schuldverhältnisses die persönliche Auswahl seines Vertragspartners nachrangige Bedeutung hat (Fall 2).
Keiner der beiden Fälle liege hier vor, auch nach Ansicht des BGH. Der Vertrag über den Zutritt zu der hier betroffenen Veranstaltung sein kein „Massengeschäft“ iSd § 19 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 AGG. Es liege ein Ansehen der Person vor, wenn der Anbieter seine Entscheidung über den Vertragsschluss erst nach Würdigung des Vertragspartners treffe. Ob persönliche Merkmale typischerweise eine Rolle spielen, bestimme sich nach einer allgemeinen, typisierenden Betrachtungsweise, bei der auf die für vergleichbare Schuldverhältnisse herausgebildete Verkehrssitte abzustellen ist.
Und darauf folgerten die Karlsruher Richter:
„Eine Verkehrssitte, dass zu öffentlichen Veranstaltungen, die mit dem hier betroffenen Schuldverhältnis vergleichbar sind, jedermann Eintritt erhält, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nicht festgestellt. Soweit öffentlich zugängliche Konzerte, Kinovorstellungen, Theater- oder Sportveranstaltungen im Regelfall dem sachlichen Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG unterfallen, weil es der Verkehrssitte entspricht, dass dort der Eintritt ohne Ansehen der Person gewährt wird, ist für diese Freizeitangebote charakteristisch, dass es den Veranstaltern – meist dokumentiert durch einen Vorverkauf – nicht wichtig ist, wer ihre Leistung entgegennimmt. Das unterscheidet sie maßgeblich von Party-Event-Veranstaltungen wie der vorliegenden, deren Charakter in der Regel auch durch die Interaktion der Besucher geprägt wird, weshalb der Zusammensetzung des Besucherkreises Bedeutung zukommen kann. Dass auch bei solchen Veranstaltungen gleichwohl nach der Verkehrssitte jedermann Eintritt gewährt wird, macht der Kläger nicht geltend.“
Dann legt das Gericht nach:
„Der Vertrag über den Zutritt zu der von der Beklagten durchgeführten Veranstaltung war auch kein „massengeschäftsähnliches“ Schuldverhältnis im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 AGG. …Bei Schuldverhältnissen wie öffentlichen Party-Event-Veranstaltungen kann die Zusammensetzung des Besucherkreises deren Charakter prägen und daher ein anerkennenswertes Interesse des Unternehmers bestehen, hierauf Einfluss zu nehmen. Soweit der Veranstalter deshalb sein Angebot nur an eine bestimmte, nach persönlichen Merkmalen definierte Zielgruppe richtet und nur Personen als Vertragspartner akzeptiert, die die persönlichen Merkmale der Zielgruppe erfüllen, kommt diesen Eigenschaften nicht nur nachrangige Bedeutung zu. Diese Willensentscheidung ist hinzunehmen; wenn dabei auch das Merkmal „Alter“ betroffen ist, steht dies nicht entgegen.“
Anders als in seiner Entscheidung vom 27. Mai vergangenen Jahres argumentierte das Gericht also bereits mit der fehlenden Anwendbarkeit des AGG – nicht mit der möglichen Rechtfertigung. Dadurch mogelt es sich aus dem AGG heraus. Die Zulassung zur Veranstaltung nicht als Massengeschäft einzuordnen, scheint mir sportlich, denn wer da kommt, ist egal – Hauptsache, das Alter stimmt. Es wird nicht nach Bildungsabschluss, Einkommensverhältnissen, politischer Überzeugung, Familienstand und anderem gefragt. Und selbst das wirkliche Alter interessiert wohl weniger als das optische Alter. Das verträgt sich nicht so recht mit der Ablehnung eines Massengeschäfts oder eines gleichgestellten Geschäfts.
Derr BGH hätte – wie ehemals bei seiner Entscheidung über ein Hotel ohne Kinder – wohl besser auf der Rechtfertigungsebene argumentiert. Das scheint mir richtiger. Bei der Rechtfertigung ist es dann wir beim Frauentag im Schwimmbad: Selbstverständlich vom Anwendungsbereich des AGG erfasst – aber eben gerechtfertigt in der Unterscheidung. Karlsruhe bleibt also bei seiner großzügigen Linie. Der unternehmerischen Handlungs- und Gestaltungsfreiheit wird ein hoher Stellenwert beigemessen.
Das AGG ist durchaus examensrelevant – es lohnt sich in die Entscheidungsgründe zu schauen, sobald sie veröffentlicht werden. Wer vorher schon tiefer einsteigen will: MüKo/Thüsing, § 20 AGG Rnr. 1 ff (bald auch in 9. Aufl.) und auch Thüsing/Pöschke, jm 2020, S. 359.
Grundsätzlich Zustimmung zum Artikel.
Es kann zudem ein bewirkter und zu entschädigender Nachteil vielleicht noch etwas unklar wirken.
Dies, soweit etwa umgekehrt ebenso ein Vorteil erlangt sein kann, indem man nicht, trotz Zahlung, einem Umfeld ausgesetzt war, welches einem teils störend fremd begegnen kann.
Man kann dabei ferner noch eventuell vor möglichen Ansprüchen anderer wegen eventueller schuldhafter Störung, wie gegebenenfalls nur indirekt von anderen Gästen oder von Veranstaltern verschont bleiben o.ä.
Eine besondere (finanzielle) Schutzpflicht anderer Fremder, wie von anderen Gästen oder von Veranstaltern sollte hierbei nicht genügend sicher bestehen müssen.