Zivilrecht ZI – Februar 2015 – 1. Staatsexamen NRW, Hamburg und Saarland
Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll der ersten gelaufenen Klausur im Zivilrecht des 1. Staatsexamens in NRW, Hamburg und im Saarland. Vielen Dank dafür. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
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Sachverhalt
Der Bonner Druckereibund BDB archiviert historische Zeitungen. Es handelt sich um eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts gemäß §80 BGB, deren Vorstand sich nach der Stiftungsverfassung aus C und zwei weiteren Personen zusammensetzt. Weitere Regelungen zur Vertretung enthält die Stiftungsverfassung nicht.
Im Jahre 2001 entdeckte A, ein Archivar des BDB, in den Räumlichkeiten des BDB in einer von ihm zu archivierenden Zeitung aus dem 19 Jahrhundert ein – im Eigentum des BDB stehendes- altes Kuvert, auf den sich zwei historische Briefmarken befunden, an denen A sofort Gefallen fand.
Beide Briefmarken zeigten Königin Victoria von Großbritannien aus dem Jahre 1841. Die linke Briefmarke war blau, die rechte rot.
A fasste folgenden Entschluss: Er wollte von nun an Briefmarken sammeln. Und eben dieser mit Briefmarken versehene Umschlag sollte sein erstes Sammelobjekt sein.
Daher wandte sich A an C vom Vorstand des BDB, das einzige Vorstandsmitglied, mit den A während seiner täglichen Arbeit Kontakt hatte. A machte ein Angebot in Höhe von 200 DM (102,26€). C zeigte sich einverstanden, bestätigte A im Namen des BDB schriftlich den Eigentumsübergang und händigte A den Brief wieder aus. Der Inhalt der Stiftungsverfassung war A unbekannt. Die anderen Vorstandsmitglieder hatten weder zu diesem Zeitpunkt noch später Kenntnis von dem Geschäft.
Im Jahre 2006 verstarb A.
Sein allein erbender Sohn D fand den Briefumschlag mit den Briefmarken in Nachlass und hatte eine Idee: Beim wenige Tage später stattfindenden „Rhein-Flohmarkt“ wolle er das Kuvert samt Marken eigenständig versteigern. Zwar hatte er keine eigenen Erfahrungen mit Versteigerungen gemacht, deren Ablauf aber zuvor wiederholt in Fernsehen verfolgt.
Der Plan des D funktionierte: E, ein pensionierter Vermessungstechniker sah das etwas unbeholfene von D „versteigerte“ Kuvert mit den Briefmarken, welche ihm irgendwie außergewöhnlich erschienen und entschied spontan, nun Briefmarken sammeln zu wollen.
Auf die Frage des E, woher die Sache stamme, versicherte D der Wahrheit entsprechend, sein Vater hätte den Briefumschlag mit den Marken im Jahre 2001 unmittelbar von dem BDB, vertreten durch den bekannten Vorstand C, erworben.
E erwarb hierauf die Sache als Höchstbietender für 200€ anlässlich der eigenhändig und persönlich von D ausgeführten Versteigerung auf dem Flohmarkt. D übergab E ohne zu zögern auch den Erwerbsbeleg, den sein Vater von C erhalten hatte.
Ende des Jahres 2014 ereignete sich folgendes: C stand inzwischen selbst unmittelbar vor seinem Ruhestand. Seine Gattin erkannte, dass ihr Mann in Kürze wohl ohne „ordentliches“ Hobby die heimische Ruhe unaufhörlich und nachhaltig stören könne. Um dies zu verhindern, schenkte sie C das große Standartwerk der Briefmarkenkunde („der große Philatelist“). Schon beim ersten Schmökern traute C seinen Augen nicht. Er sah die Abbildung zweier Marken, die Königin Victoria von Großbritannien aus dem Jahre 1841 zeigten; die linke Briefmarke war blau, die rechte rot.
C las laut aus dem Standardwerk vor: “ zu den wertvollsten Briefmarken der Welt zählen die blaue und rote „Mauritius“. Sind diese auf einem einzigen Kuvert zu finden, handelt es sich um den extrem seltenen, unter Experten so bezeichneten „Bordeaux-Brief“ mit Millionenwert. Hintergrund dieses Namens ist, dass das erste entdeckte Exemplar eines solchen Briefes mit einer blauen und einer roten „Mauritius“ im Jahre 1847 von Mauritius nach Bordeaux versendet wurde.“
C informiert sofort alle weiteren Vorstandsmitglieder des BDB. Der gesamte Vorstand des BDB fordert kurz darauf die sofortige Rückgabe des „Bordeaux-Briefes“ von E und führt diesem gegenüber folgendes auf: wer einen solchen Brief auf dem Flohmarkt ersteigere, könne nicht gutgläubig sein bei all dieser Diebesware die dort verkauft werde.
Hätte E auch nur das Mindestmaß an philatelistischen Nachforschungen betrieben, hätte er erkannt, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei.
Ein ordentlicher Briefmarkenkenner müsse doch die Herkunft und Geschichte der Marken bestimmen; dies habe E nicht getan. Dies führe zur Rückgabepflicht des E, wie der Umstand, dass bei der Veräußerung an A nicht der gesamte Vorstand eingeschaltet gewesen sei.
E ist anderer Meinung: zunächst A, dann D und schließlich auch er selbst habe den Brief mit den Marken unzweifelhaft im und gutgläubig erworben.
Eine Beteiligung der weitern Vorstandsmitglieder an der Veräußerung sei nicht erforderlich gewesen. Jedenfalls hätten A und er dies bei ihren Geschäften nicht gewusst und auch nicht wissen können.
Schließlich ist W der Ansicht, dass er wenigstens mit Blick auf die verstrichene Zeit das Eigentum erlangt und suche einen rechtlichen Grund dafür habe den Brief mit Briefmarken behalten zu dürfen.
Hat der BDB am 23. Februar 2015 gegen E einen Anspruch auf Herausgabe des „Bordeaux-Briefes“?
Bearbeitervermerk:
Verjährung ist nicht zu prüfen.
Auf die Legaldefinition der öffentlichen Versteigerung aus 383 Abs. 3 S. 1 BGB wird hingewiesen.
Hat jemand Lösungsansätze…im groben sieht die Klausur ganz fair aus oder irre ich mich?!
A. Anspruch aus § 985
I. Besitz des E (+)
II. Eigentum des BDB
1. Ursprüngliches Eigentum: BDB Stiftung
2. Verloren an A gem. § 929?
a) Übergabe (+)
b) Einigung
-> Problem: Vertretung der Stiftung; § 86 iVm. § 26 II 2:
Mehrheitsprinzip
-> Folge: Keine wirksame Vertretung, da C allein handelte,
somit keine dingliche Einigung zustande gekommen
3. Verloren an A in sonstiger Weise
-> Fund (-)
-> Schatzfund (-)
-> Ersitzung mangels 10 Jahre (-)
4. Verloren an D?
-> kein gutgläubiger Erwerb möglich i.R.d. § 1922
5. Verloren durch Veräußerung D an E gem. §§ 929, 932?
a) Einigung (§ 156) / Übergabe (+)
b) Problem: Gutgläubigkeit des E, § 932 II
-> i.E. nach Diskussion (+)
c) Problem: Abhandenkommen, § 935
aa) Anwendbarkeit § 935 I wegen § 935 II?
-> (+), da keine öffentliche Versteigerung i.S.d. § 383
III
bb) Unfreiwilliger Verlust des unmittelbaren Besitzes des
BDB, § 935 I?
-> i.E. nach Diskussion (+), da zwar das eine Organ C
freiwillig weggibt, aber wegen Mehrheitsprinzip des § 26 II 2 der juristischen
Person nicht zuzurechnen ist
-> Zudem Vergleich zum Mitbesitz: auch dort genügt es
wenn einem Mitbesitzer unfreiwillig der Besitz verloren geht
6. Verloren durch Ersitzung des E, § 937 I
-> § 943 ist vorliegend anwendbar, da sämtliche Vorgänger
des E gutgläubig waren (Inzidentprüfung also von Gutgläubigkeit des A und D)
-> Folge: Ersitzungszeit abgelaufen, E erwirbt Eigentum
im Jahr 2011
III. Ergebnis: § 985 (-)
B. § 861
-> jedenfalls (-) wegen § 864 (man hätte sich hier wohl
noch Gedanken machen können ob verbotene Eigenmacht vorlag (vgl. Diskussion bei
Abhandenkommen)
C. § 1007 II
(-), da E Eigentümer ist
D. § 816 I 2
-> keine Unentgeltlichkeit
E. § 812 I 1 Alt. 2
I. Erlangtes Etwas: Besitz und Eigentum
II. In sonstiger Weise auf Kosten des BDB
-> Besitz durch Leistung des D
-> aber: Eigentum kraft Gesetzes durch Ersitzung und
somit in sonstiger Weise
III. Ohne Rechtsgrund
-> Problem: gibt Ersitzung Grund zum Behaltendürfen?
-> i.E. (+) wegen Umkehrschluss zu § 951 und § 977
Somit hat der BDB keinerlei Herausgabeansprüche.
Der Ablauf der Ersitzungszeit von grds. 10 Jahren gemäß
§ 937 I BGB vom Erwerb der Marken auf der Versteigerung – wohl im Jahre 2006 – bis zur Anspruchsgeltendmachung – wohl im Jahre 2015 – könnte evtl. noch zweifelhaft sein.
Darüber hilft ja gerade § 943 hinweg…
OK, hatte den § 934 BGB vielleicht nicht richtig verstanden.
Es könnte allerdings noch zeifelhaft sein, ob die Rechtsvorgänger Eigenbesitz hatten.
Diese könnten evtl. Kenntnis von einem möglich fehlenden Eigenbesitzrecht und daher hinsichtlich von Fremdbesitz einen Willen mit besessen haben.
Es könnte daher u.U. noch der nötige Eigenbesitzwillen von einem evtl. (Mit-)Fremdbesitzwillen abzugrenzen sein?
Danke @qwertz für die Ausführliche Lösungsskizze
Hallo, habe die Klausur ebenfalls so gelöst. Nur zum Thema Abhandenkommen 5. bb) muss man die Figur des Organbesitzes ansprechen. Demnach kommt die Sache einer Gesellschaft abhanden, wenn sie von einem Vertreter weggegeben wird, der hierfür keine Vertretungsmacht hat (hier der Fall).
Beim Eigentumserwerb nach §937, 943 würde ich jedoch eher vertreten, dass der A bösgläubig ist. Ich weiß allerdings nicht, ob man dort auf seine Gutgläubigkeit bezüglich der Stellvertretungsmacht abstellen muss. Es wäre nach dem Wortlaut des §932 II ausreichend, wenn er denkt, dass die BDB Eigentümerin ist. Andereseits könnte man hier vielleicht auch vertreten, dass er an die Vertretungsmacht glauben muss, da hier der Sonderfall des Organbesitzes vorliegt.
Im Ergebnis wirst du wohl aber Recht haben, sprich Gutgläubigkeit (+)
Zur dinglichen Einigung:
– händigte im Namen der Stiftung schriftliche Erklärung über Eigentumsübergang auf
– Stiftungsverfassung war A unbekannt
Dies dürfte nicht einfach übergangen werden, indem man auf (nicht vorliegende) Gesamtvertretung abstellt, die Vertretungsmacht und somit eine wirksame Stellvertretung der Stiftung gem. 164 I BGB verneint
(Vertretungsmacht für OHG und Co im Handelsregister nach 106 HGB anzumelden)
Stiftung ja ausdrücklich kein Handelsgewerbe, also Einzelvertretungsmacht hiernach eher (+).
Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs:
Nichtwissen der anderen Vorstandsmitglieder als abhanden gekommener Mitbesitz iSd 935 I Alt. 3 BGB; fraglich allerdings ob ggf Ausnahme hiervon möglich. Eigentlich nur schwer vorstellbar, da Briefmarke als Vermögen der Stiftung, also aller, anzusehen ist.
*..Händigte..aus
Ich kann mich nicht erinnern dass in NRW im Bearbeitervermerk auf die öffentliche Versteigerung hingewiesen wurde…
Es wurde auch definitiv nicht auf § 383 III BGB hingewiesen in NRW
Zumal ich mich frage wofür diese Information gut sein soll??
§ 935 II
Handelt es sich in diesem Fall (historische wertvolle Briefmarke) wirklich um ein Inh.papier iSd 935II 2.Alt. BGB?
Wohl eher nicht..Umlauffähigkeit dürfte zu verneinen sein.
Der Wert der Briefmarke aufgr des Alters und der damit verbundenen Seltenheit ist zwar hoch (sog. neue“ Widmung“ der Briefmarke (Inhpap) –> Sammlerstück, also 935 I, hier: (+)),
die Leistungserbringung durch den Aussteller wohl aber nicht mehr geschuldet (Inhpap: (-))..
Ich frage mich ob man da jetzt einen großen Streit wegen dem Abhandenkommen aufmachen sollte wegen der „Versteigerung“ oder weil es sich bei den Marken um „kleine Inhaberpapiere“ nach BGH handeln könnte…
wäre es falsch wenn ich eine wirksame Vertretung angenommen hätte, aufgrund der Möglichkeit der Passivvertretung durch einen Einzelnen?
Und wie willst du über die fehlende Vertretungsmacht für die Abgabe einer Willenserklärung hinwegkommen?
Nein das war wohl ein Denkfehler…
Ich habe gedacht dass man bei der Passivvertretung keine Vertretungsmacht von allen (konsesual) erteilt bekommen muss sondern es genügt die Abgabe eines Angebotes gegenüber einem der Vertreter für die Wirksamkeit…
Paragraph 86 Hs.2 iVm 26 II 2 BGB?