Wem helfen Dashcams, wenn es kracht? Die aktuelle StPO-Zusatzfrage in der Verkehrsklausur
Einführung in die Thematik
„Dashcams“ halten seit mehreren Monaten Einzug in die Gerichte – sowohl vor den Zivil- als auch den Strafgerichten. Dabei handelt es sich um kleine Kameras, die meistens in der Windschutzscheibe eines Autos angebracht werden, um den Verkehrsraum zu überwachen. Der Aufzeichnende schafft sich mittels einer Dashcam nicht selten eine gute Beweislage: Er hat alles auf Video. Die Rechtsprechung beschäftigte sich bisher nur in den unteren Instanzen mit der Verwertbarkeit solcher Aufnahmen. Nun bezieht das OLG Stuttgart (NJW 2016, 2280) Stellung in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren. Inwiefern dessen Entscheidungsgründe auch für andere Verfahren von Bedeutung sein werden, bleibt abzuwarten.
Entscheidung des Gerichts
Im Ausgangspunkt – und das ist auch für eine Klausurbearbeitung wichtig – sind die Grundrechte und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in den Blick zu nehmen:
„Die Fertigung der Bildaufzeichnung stellte einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen. Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials wurden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert. Sie konnten später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifizierung des Fahrzeugs bzw. des Fahrers war beabsichtigt und technisch auch möglich (vgl. BVerfG, NJW 2009, 3293 = NZV 2009, 618 Rn. 15). Ob und unter welchen Umständen ein solcher Eingriff – auch durch Private – zulässig sein kann, regelt unter anderem § 6 b BDSG.“
Ein Gesetzesauszug des BDSG sollte dem Klausursachverhalt beigelegt sein. Wer die entsprechende Norm ansonsten selbst in die Diskussion der Verwertbarkeit einbringt, kann mit Zusatzwissen beeindrucken.
Die konkrete Abwägung fällt das OLG Stuttgart teilweise zugunsten der Verwertbarkeit, teilweise geht es der Beantwortung der Frage aus dem Weg, da nicht genug entscheidungserhebliche Feststellung durch die Vorinstanz getroffen wurden:
„Aus § 6 b BDSG, insbesondere dessen Absatz 3 Satz 2, folgt kein gesetzlich angeordnetes Beweisverwertungsverbot für das Bußgeldverfahren. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzgebungsmaterialien geben Hinweise, dass der Gesetzgeber ein solches Beweisverwertungsverbot regeln wollte. Ein solches kennt das deutsche Strafprozessrecht – und über § 46 OWiG auch das Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren (BVerfG, NJW 2011, 2783 Rn. 13; Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 46 Rn. 10 c) – ohnehin nur in Ausnahmefällen. In § 6 b III 2 BDSG ging es dem Gesetzgeber um eine Ausnahme von der strikten Zweckbindung des § 6 b III 1 BDSG für die durch Videoüberwachung gewonnenen Daten (BT-Drs. 14/5793, 62). Zur weitergehenden Frage eines Beweisverwertungsverbots im Straf- oder Bußgeldverfahren äußerte er sich jedoch gerade nicht, so dass auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen ist.“
Zudem hebt das Gericht die geringe Intensität des Eingriffs hervor, die zur Verwertbarkeit der Aufnahmen führen soll.
„Die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Videoaufzeichnung des fließenden Verkehrs ist hier zudem sehr gering. Die aufgezeichneten Daten betreffen insbesondere nicht den Kernbereich privater Lebensgestaltung des Betroffenen oder seine engere Privat- oder gar Intimsphäre. Vielmehr setzte sich der Betroffene durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer wie auch der Kontrolle seines Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei- und die Ordnungsbehörden aus. Der Betroffene selbst ist auf dem Video nicht bzw. allenfalls in Umrissen von hinten, sondern im Wesentlichen nur sein Fahrzeug abgebildet. Die Verpflichtung, als Halter die im öffentlichen Straßenverkehr verwendeten Kraftfahrzeuge mit Kennzeichen zu versehen (§§ 8 und 10 FZV) und gegebenenfalls ein Fahrtenbuch zu führen, wenn bei Verstößen der Fahrer nicht feststellbar ist (§ 31 a StVZO), zeigt, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber eine Identifizierung von Regelverletzern zumindest grundsätzlich ermöglichen möchte und sich keiner auf eine anonyme Teilnahme am Straßenverkehr verlassen und berufen können soll.“
Auswirkungen auf das Examen
Eine in der Praxis so wichtige und technisch neue Erscheinung wird – mit einer hohen Wahrscheinlichkeit – Gegenstand von Examensklausuren sein, auch oder insbesondere für Referendare im Zweiten Examen. In Klausuren des Ersten Examens wird die Fragestellung wohl in Form einer strafprozessualen Zusatzfrage auftauchen. Thematisch lassen sich Verkehrsstraftaten hervorragend mitprüfen. Hier führen den Bearbeiter schon Grundzüge zu einer erfolgreichen Klausurbearbeitung.
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