Übersicht: Standardprobleme des Kommunalverfassungsstreits
Nachdem wir gestern über den etwaigen Ausschluss eines NPD-Mitglieds aus dem Stadtrat berichtet haben, soll diese aktuelle Fallkonstellation zum Anlass genommen werden, noch einmal die Standardprobleme des Kommunalverfassungsstreits darzustellen.
Hintergrund der Problematik: Keine gesetzliche Regelung des Kommunalverfassungsstreits
Der Kommunalverfassungsstreit ist eine Streitigkeit zwischen verschiedenen Teilen einer einheitlichen juristischen Person des öffentlichen Rechts über Rechte und Pflichten aus dem körperschaftlichen Verhältnis. Es gibt – als Unterfälle – den Interorganstreit (zwischen Organen, z.B. Bürgermeister gegen Rat) und den Intraorganstreit (zwischen Mitgliedern eines Organs oder Organteilen gegen das Organ, z.B. Ratsmitglied gegen Rat). Solche Streitigkeiten entsprechen in der Sache dem verfassungsrechtlichen Organstreitverfahren. Im Verwaltungsrecht gibt es ein vergleichbarer Verfahren jedoch nicht. Ein solcher „Insichprozess“ entspricht nicht der Konzeption der VwGO und ist daher dort nicht geregelt. Aus diesem Hintergrund ergeben sich zahlreiche Standardprobleme, die im Rahmen einer Klausur präsent sein sollten.
1. Verwaltungsrechtsweg, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
(P) nichtverfassungsrechtlicher Art: Trotz des irreführenden Namens ist der Kommunalverfassungsstreit nichtverfassungsrechtlicher Art. Es geht weder um Verfassungsrecht, noch streiten Verfassungsorgane.
2. Statthafte Klageart (bzw. Antragsart bei einstweiligem RSchutz):
Im Ergebnis ist wohl Feststellungsklage oder z.T. allgemeine Leistungsklage statthaft (daher § 123 VwGO bei einstweiligem Rechtsschutz). Häufig liegt ein allg. öff-rechtl. Unterlassungsanspruch als AnsprGrdl dem Rechtsstreit zugrunde
a.A. Anfechtungsklage (analog) wegen kassatorischer Wirkung – aber kein VA (weil allein Innenrechtsstreitigkeit, keine Außenwirkung ggü. Bürger, jeweilige Organe sind nur als solche und nicht als Bürger in Ihren Rechten betroffen)! Analogie mangels Regelungslücke abzulehnen, FK als subsidiärer Auffangtatbestand, geschlossenes System der VwGO
w.A. Klageart sui generis (abzulehnen)
3. Klagebefugnis (bzw. Antragsbefugnis)
(P) nur organschaftliche Rechte oder auch Grundrechte etc.? h.M. ist wohl, dass nur organschaftliche Rechte geltend gemacht werden können (ähnlich: Organstreit auf Verfassungsebene); a.A. aber gut vertretbar (Stichwort: Grundrechte werden nicht an der Tür zum Sitzungsraum abgegeben); Standardprobleme z.B. Art. 4 GG (Christuskreuz im Rat) oder Art. 5 GG (Meinungsäußerungen im Rat, Protestplakate etc.)
4. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
Nach h.M. ist das Ratsmitglied aus § 61 Nr. 2 VwGO (analog) beteiligtenfähig, da auf organschaftliche Rechte abzustellen ist und nicht auf Rechte als natürliche Person / als Bürger. Die betreffenden Organe bzw Organteile sind nicht als Außenrechtssubjekt, sondern in ihrer Eigenschaft als Amtswalter, Organe oder Organteile mit Rechten ausgestattet und in diesen Rechten betroffen. Auch der Rat ist beteiligtenfähig (§ 61 Nr. 2 analog); Prozessfahigkeit nach § 62 Abs. 3 VwGO (analog)
a.A.: § 61 Nr.1 VwGO direkt
5. Richtiger Klagegegner (bzw. Antragsgegner)
Auch sehr streitig; in NRW ist h.M. wohl, dass auf den sachlichen Streitgegener abzustellen ist, also z.B. bei Streit zwischen Ratsmitglied und Rat: „der Rat“ als Streitgegner, also weder die Gemeinde als Rechtsträger, noch der Bürgermeister als Behörde; es greift also weder das Rechtsträger-, noch das Behördenprinzip. Alles andere aber auch vertretbar.
Wichtig in NRW: Bedeutsam ist auch, dass mit dem JustG NRW ein Wegfall des Behördenprinzips in NRW eingeleitet wird. § 5 Abs. 2 AGVwGO NRW wurde aufgehoben, so dass Behörden nicht mehr abweichend von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Klagegegner sein können. Auch die Beteiligtenfähigkeit von Behörden wurde abgeschafft (ehemals § 5 Abs. 1 AGVwGO), so dass Behörden auch nicht mehr selbstständig als Kläger auftreten können. Es gilt ab dem 01.01.2011 also nur noch das Rechtsträgerprinzip, so dass der jeweilige, die Behörde tragende Rechtsträger zu verklagen ist.
Sollte eine Behörde ausnahmsweise nicht nur Träger von Wahrnehmungszuständigkeiten, sondern losgelöst von den Rechten der sie tragenden Körperschaft eigene Rechte haben, wird sie allerdings trotzdem teilrechtsfähig sein und diese Rechte auch gerichtlich geltend machen können, ohne dass ausdrücklich eine Beteiligungsfähigkeit landesrechtlich geregelt sein muss.
sehr sehr hilfreich, vielen dank! das habe ich gesucht!
Sehr gute Übersicht, auch für andere Bundesländer! Danke:-)