Übersicht Staatshaftungsrecht: SEK schießt auf Hund, die Familie ist geschockt, aber kein Schmerzensgeld?
Kein Schmerzensgeld mangels Amtspflichtverletzung
Ein aktueller Fall (LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 11.08.2011 – 4 O 9039/10; 4 O 9068/10; 4 O 9069/10, s. hierzu den Bericht bei beck-aktuell) zum Staatshaftungsrecht gibt Anlass, sich mit den wichtigsten Ansprüchen des Staatshaftungsrechts vertraut zu machen und sich die Hauptunterschiede zwischen ihnen zu vergegenwärtigen. In dem vom LG Nürnberg-Fürth entschiedenen Fall verlangte eine Familie Schmerzensgeld wegen psychischer Traumata, nachdem das SEK ihr Haus gestürmt und den Familienhund mit einer Schrotflinte angeschossen hatte. Nach Ansicht des Gerichts war der gesamte Einsatz rechtmäßig und auch verhältnismäßig. Aufgrund dreier bis ins Detail übereinstimmender Zeugenaussagen sei der Sohn zureichend verdächtig gewesen, im Juni 2010 eine Schusswaffe mit sich geführt und damit andere Personen bedroht zu haben. Der Hund hätte bereits bei früheren Einsätzen der Polizei weggesperrt werden müssen. Es läge also insgesamt schon keine Amtspflichtverletzung vor. Schmerzensgeld müsse daher ausscheiden.
Systematik des Staatshaftungsrechts
Dieser recht spektakuläre Fall soll hier aber nicht weiter vertieft werden. Stattdessen soll im Folgenden eine Übersicht die Kenntnisse der wichtigsten Ansprüche des Staatshaftungsrechts auffrischen (Schwerpunkt: NRW Recht, die Übersicht gilt nur teilweise für Bundesländer, in denen das Staatshaftungsrecht kodifiziert wurde).
Ansprüche auf Entschädigung oder Schadensersatz sind:
- u.U. vorrangig: Pflichtverletzungen im Rahmen von verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen, zB aus öffentlich-rechtlichem Vertrag oder Sonderbeziehung; löst Haftung analog § 280 Abs. 1 BGB aus (oder § 311 Abs. 2 BGB)
- Anspruch aus öffentlich-rechtlicher GoA
- spezialgesetzliche Vorschriften, insbesondere die entsprechenden Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts (z.B. §§ 39 ff. OBG NRW, ggf. i.V.m. § 67 PolG NRW; dieser Anspruch käme vorliegend in Betracht, aber da Einsatz rechtmäßig allenfalls § 39 Abs. 1 a) OBG, Konkurrenzen: Verdrängt als kodifizierter Sonderfall alle Aufopferungsansprüche aus §§ 74, 75 PrALR, § 839 BGB hingegen bleibt); aber auch „exotische“ Spezialvorschriften wie etwa §§ 56 ff. InfektionsSchutzG
- Amtshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG: Die wohl wichtigste Anspruchsgrundlage des Staatshaftungsrechts; § 839 BGB ist verschuldensabhängig (wichtiger Unterschied zu OBG)! wird im Europarecht auch verwendet, um den „Francovich-Anspruch“ im deutschen Recht durchzusetzen (hier ggf. in unionsrechtskonformer Auslegung kein Verschulden erforderlich; auch Richterspruchprivileg nach § 839 Abs. 2 BGB ggf. hinfällig)
- Enteignungsgleicher Eingriff (rechtswidrig) und enteignender Eingriff (rechtmäßig)
- allgemeiner Aufopferungsgedanke (§§ 74, 75 PrALR, in Abregenzung zu enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff ist ein Eingriff in ein nichtvermögenswertes Recht erforderlich)
- Gefährdungshaftung aus speziellen Tatbeständen wie zB § 7 StVG
Ansprüche auf Ausgleich oder Wiederherstellung
- Folgenbeseitigungsanspruch: Ein weiterer sehr wichtiger Anspruch; auf Naturalrestitution gerichtet, die den Status quo ante wiederherstellen soll
- öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch, soll drohende rechtswidrige, hoheitliche Maßnahmen abwehren, ist also – anders als der FBA – auf Unterlassung und nicht auf Kompensation gerichtet, der Unterlassungsanspruch ist also sozusagen zeitlich dem FBA vorgelagert
- öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (der „§812 BGB des Ö-Rechts“)
Klausurrelevanz
Das Staatshaftungsrechts wird gerne verwendet, um eine Klausur zu verlängern. Gerade im Polizei- und Ordnungsrecht bietet es sich etwa an, in einem zweiten Klausurteil nach Ansprüchen gegen die Ordnungsbehörden zu fragen. Reine Staatshaftungsrechtsklausuren sind denkbar (zB im Europarecht), aber eher selten. In jedem Fall sollte sich niemand ohne eine solide Kenntnis des Amtshaftungsanspruchs in eine Examensprüfung begeben.
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