Typische Examensfehler: Allgemeines
Die Tätigkeit als Korrektor juristischer (Examens-)Klausuren ist nicht immer eine erfüllende und dankbare Aufgabe. Mal abgesehen von einem katastrophalen Schriftbild oder einer nicht gerade Gutachten gerechten Ausdrucksweise unterlaufen den Examenskandidaten vielfach auch einfachste Fehler, sodass sich einem die Haare sträuben möchten. Man wünscht sich, dass der Prüfling seine dem Begriff eines Rechtsgutachtens spottende Klausurbearbeitung wenigstens ein einziges Mal durch die Augen eines Korrektors sehen könnte. Angesichts dessen verwundert es den frustrierten Prüfer kaum mehr, dass der juristische Notenschnitt so ausfällt, wie dies allseits bekannt ist.
Die meisten Missgeschicke lassen sich jedoch ohne Weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick in die Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern überflüssige Fehler zu vermeiden. Dem ein oder anderen mag in Bezug auf die folgenden Hinweise so einiges selbstverständlich vorkommen, doch kann ich Euch versichern: Das ist es leider nicht!
Bevor aber eine Darstellung typischer Fehler und Hinweise hinsichtlich solcher Klausuren im Öffentlichen Recht, Strafrecht und Zivilrecht erfolgt, soll zunächst eine kurze Übersicht zu allgemeinen klausurtypischen Fehlern und Hilfestellungen dargeboten werden.
I. Klausuraufbau
- Zeiteinteilung: Zum Lesen, Nachdenken und Gliedern sollten ca. 2 Stunden, zum sauberen Ausformulieren dagegen ca. 3 Stunden eingeplant werden. Sinnvoll ist es, zuerst mit der Fallfrage zu beginnen und erst im Anschluss daran mit dem Lesen des Sachverhaltes fortzufahren.
- Gestaltung: Baut euer Rechtsgutachten übersichtlich und in sinnvolle Abschnitte gegliedert auf. Gewährt dem Korrektor einen ausreichend großen Korrekturrand und verärgert ihn nicht damit, diesen begrenzten Bereich auch noch mit eingeschobenen Ausführungen zu belegen. Einschübe sollten also auf einer Extraseite und erst recht nicht auf der Rückseite angeführt werden. Eure Klausur soll schließlich einen guten ersten Eindruck vermitteln!
- Gliederung: Gewöhnt euch die üblichen Gliederungsebenen an, welche dann konsequent einzuhalten sind. Beispiel: A., I., 1., a., aa., usw. Allerdings sollte nicht jedes offensichtliche Merkmal einem Gliederungspunkt zugeordnet werden, denn oftmals lassen sich diese auch leicht mit anderen verbinden. Teilweise finden sich Prüfungsschritte, die nicht dem entsprechen, was im Examen oder gar in einer Großen Übung erwartet werden kann. Als Beispiel sei an dieser Stelle Folgendes genannt, was unter der Überschrift „Tatobjekt des § 239 StGB“ zu lesen war: „Tatobjekt des § 239 I StGB ist ein anderer Mensch. O ist ein anderer Mensch.“
- Schrift: Auch wenn es so einigen von euch schwer fallen mag, sollte es im Grunde eine Selbstverständlichkeit sein auf eine lesbare Schrift zu achten. Sofern die Schrift unleserlich ist, kann es durchaus vorkommen, dass ein bereits verärgerter Korrektor möglicherweise einen guten Gedanken von euch überliest, weil er euren Text nur noch „überfliegen“ kann. Die Lesbarkeit eurer Schrift liegt daher in eurem eigenen Interesse.
- Formulierung: Jeder Jurist sollte im Übrigen die deutsche Sprache in Ausdruck, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung beherrschen. Alles andere kann durchaus zu Punktabzügen führen. Umgangssprache oder Chat-Sprache ist unbedingt zu vermeiden. Was ihr mit eurem Rechtsgutachten zum Ausdruck bringen wollt, sollte auch eine gewisse sprachliche Qualität aufweisen. Wenn etwa zu lesen ist „…der Vater hat sein Sohn geschlagen“, so wirft dies ein schlechtes Licht auf die sprachlichen Fähigkeiten des Kandidaten. Andauernde Wiederholungen der immer gleichen Phrasen (z.B. „vorliegend“, „laut Sachverhalt“) sollten möglichst umgangen werden. Nichtssagende Floskeln (z.B. „ein milderes Mittel ist kaum ersichtlich“) wirken unbeholfen. Gewöhnt euch auch die häufig anzutreffende Formulierung „gemäß §§… analog“ ab, denn „analog“ heißt „entsprechend“, sodass es richtigerweise nur „analog §§…“ heißen kann.
- Keine Unterschrift: Auf keinen Fall dürft Ihr die Klausur abschließend unterschreiben oder sonst in irgendeiner anderen Weise als mit Eurer zugewiesenen Kennziffer kenntlich machen. Die Justizprüfungsämter „belohnen“ eine Unterschrift oder eine Kenntlichmachung in sonstiger Weise strikt mit 0 Punkten. Schließt eure Klausur daher lediglich mit den erlösenden Worten „Ende der Bearbeitung“ ab.
II. Fallbearbeitung
- Bearbeitervermerk: Gleich vorweg muss leider immer noch darauf hingewiesen werde, dass den Hinweisen des Bearbeitervermerks ausnahmslos zu folgen ist.
- Fallfrage: Eure Ausführungen sollen sich (nur) auf die jeweilige Fallfrage beziehen, sodass ihr diese am besten mit dem zu Beginn anzuführenden Obersatz wiederholend präsentiert. Wird also nach der Strafbarkeit gefragt, sollte der Obersatz nicht zum Gegenstand haben, ob sich die Person nach dem jeweiligen Delikt „schuldig“ gemacht haben könnte. Keine Ausführungen oder Prüfungen dürfen dagegen zu Punkten erfolgen, nach denen nicht gefragt ist bzw. die eindeutig über die Aufgabenstellung hinausgehen. Ausführungen ohne Fallbezug solltet ihr ohnehin tunlichst vermeiden.
- Gutachtenstil: Auch wenn im Examen nicht mehr erwartet wird, dass jedes Tatbestandsmerkmal „sklavisch“ im Gutachtenstil ausgeführt werden soll, darf diese Form gutachtlicher Ausdrucksweise dennoch nicht missachtet werden. Als Korrektor gewinnt man manchmal jedoch den Eindruck, dass der eigentlich im ersten Semester zu erlernende Gutachtenstil nie wirklich beherrscht wurde. Der Urteilsstil sowie die entsprechend formulierten Sätze mit „da“, „weil“, „nämlich“ oder „denn“ sind also soweit als möglich zu vermeiden. Zulässige Konjunktionaladverbien sind die Formulierungen „folglich“, „demzufolge“, „demnach“, „damit“, „somit“, „mithin“, „deswegen“, „deshalb“ oder „daher“. Vor allem im Rahmen der Subsumtion ist auch auf die richtige Zeitform zu achten. Für weitergehende Ausführungen hierzu sei auf unseren Artikel vom 5. April 2012 verwiesen.
- Obersätze: Vernachlässigt keinesfalls die Bildung von vollständigen Obersätzen. Das Merkmal einer schwachen Klausurbearbeitung ist häufig in einer oberflächlichen Bearbeitung in Bezug auf die Bildung von Obersätzen zu sehen, was dazu führt, dass im Anschluss nicht sauber definiert und subsumiert wird.
- Ergebnisse: Formuliert sinnvolle Zwischen- und Endergebnisse zu den jeweiligen Abschnitten. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass die Ergebnissätze unbedingt den Obersätzen entsprechen sollten.
- Fachbegriffe: Verwendet die entsprechenden Fachbegriffe nur im richtigen Kontext, und auch nur dann, wenn euch die Schreibweise hinlänglich bekannt ist. Oftmals hat sich im juristischen Sprachgebrauch ein Binde-„s“ eingeschlichen, obwohl es aber beispielsweise „Rechtsgutverletzung“ und nicht „Rechtsgutsverletzung“ heißt.
- Zitierung: Wenn ihr Paragraphen(ketten) anführt, müsst ihr immer Absatz, Satz, Nummer, Alternative und Gesetz vollständig mitzitieren. Weniger bekannte Gesetze sollten wenigstens zu Beginn ausformuliert und mit einer in Klammern zu setzenden Abkürzung kenntlich gemacht werden. Von der Formulierung „§§ sind solche des BGB“ ist jedenfalls in der Klausursituation abzuraten, da sich ansonsten schnell Flüchtigkeitsfehler einschleichen können. Entscheidet Euch auch entweder für „§ 242 Abs. 1 StGB“ oder „§ 242 I StGB“ und haltet dieses Muster dann innerhalb einer Bearbeitung ein.
- Auslegung: Eine methodische und an den Auslegungskanones orientierte Herangehensweise ist immer dann angezeigt, wenn nicht direkt unter die Voraussetzungen einer Norm subsumiert werden kann. Im Falle der teleologischen Reduktion bedarf es unbedingt einer Begründung, warum sich eine einschränkende Auslegung gebietet. Für weitergehende Ausführungen hierzu sei auf unseren Artikel vom 10. April 2012 verwiesen.
- Analogie: Sprecht bei Bedarf auch immer die Analogievoraussetzungen an, d.h. die planwidrige Regelungslücke sowie die vergleichbare Interessenlage.
- Unbekannte Normen: Wenn von Euch eine Auseinandersetzung mit unbekannten Normen verlangt wird, ist nie eine bloße Textwiedergabe erwartet, denn es geht dabei immer um die Erfassung von Sinn und Zweck der euch unbekannten Regelungen, was sich am besten anhand von Struktur und Systematik oder aber im Wege rechtsvergleichender Überlegungen ermitteln lässt.
- Sachverhalt: Die im Sachverhalt enthaltenen Beschreibungen sind als gegeben zu akzeptieren. Eine Überinterpretation des Sachverhaltes führt in der Regel zu unzutreffenden Ergebnissen. Werdet Euch darüber hinaus auch bewusst, dass grundsätzlich alle Angaben des Sachverhaltes einen Sinn ergeben und im Rahmen eurer Klausurbearbeitung „verarbeitet“ werden sollten.
Ah, wieder einmal so eine Art von Artikel. Nett gemeint und ein paar gute und hilfreiche Punkte, aber unter einem immensen Zeitdruck noch ein schönes Schriftbild (gerne noch in Kalligrafie, ja?), keine Rechtschreibfehler und die sauberste Gliederung erwarten, spottet der Realität. Ich kann all diese Punkte bei einer Hausarbeit nachhvollziehen, aber nicht in einer Klausur.
Übung macht den Meister. Es geht auch anders, denn ca. die Hälfte der Klausuren, welche ich zu Gesicht bekomme, ist durchaus so gestaltet, dass es dem entspricht, wovon ich hier schreibe. Im Grund richtet sich dieser Artikel also an die andere Hälfte. Wer fleißigt übt, ist auch dazu in der Lage, ein ansprechendes Gutachten anzufertigen.
Extremst unsympathisch und arrogant geschrieben.
Werdet euch einfach bewusst, dass dies die Sicht des Korrektors ist. Diese könnt ihr euch nicht aussuchen. Dank dem Autor für seine Ehrlichkeit.
Quasi das Gegenteil zum Gutachtenstil soll der Urteilsstil sein. Die Abfassung von Urteilen soll eventuell im Urteilsstil aus dem Gutachtenstil hervorgehen. In gewisser Weise können oben angeführte Ratschläge daher teils mittelbar ebenso für Urteile gelten. Wenn man Urteile aus der Praxis etwa in Fachzeitschriften auf solche Ratschläge hin genauer betrachten will, kann man meinen, dass danach die Allermeisten von Urteile verfassenden Richtern streng genommen niemals den Status von Richtern als eine Art juristische Teilelite erreichen hätte dürfen. In vielen Urteilen aus der Praxis kann es nämlich, gemessen an solchen Ratschlägen, ebenfalls nicht besonders weit her scheinen. Selbst, wenn solche Ratschläge darin als nahezu hundertprozentig befolgt zu erkennen zu sein scheinen, können oft andere inhaltlich klar abschweifend schwere Mängel vorliegen. Man muss sich also gewissermaßen erst durch gnadenlose, sehr schwierige Anpassung an entsprechende Ratschläge dahin durchboxen, dass man dann in der Praxis wieder getrost weitgehend darauf pfeifen kann.
Richtig von oben herab geschrieben, der Hinweis, erst den
Bearbeitervermerk zu lesen, stimmt nur bedingt, nämlich nur für ÖR und
SR, zumindest in der Kampagne 2015/II in Berlin war diese Strategie im
ZR nicht anwendbar!.
Richtig von oben herab geschrieben, der Hinweis, erst den Bearbeitervermerk zu lesen, stimmt nur bedingt, nämlich nur für ÖR und SR, zumindest in der Kampagne 2015/II in Berlin war diese Strategie im ZR nicht anwendbar!.
Ich fand den artikel super und hoffe, dass bald die anderen Rechtsgebiete auch so vorgestellt werden. Die werde ich als Checkliste noch mit in meine Examensvorbereitung bis August einbinden.
So komprimiert alles nochmal abhaken zu können, ist doch super.
Soso, und ich dachte immer, entsprechende und analoge Anwendung seien zwei verschiedene Dinge: entsprechend immer dann, wenn es gesetzlich angeordnet wird, analog dann, wenn die Voraussetzungen der fraglichen Norm nicht vorliegen, aber die der Analogie (planwidrige Regelungslücke, teleologische Vergleichbarkeit).