Eine aktuelle Entscheidung zu den Grundsätzen des Berufsbeamtentums, prozessual eingekleidet in eine Verfassungsbeschwerde und dazu noch politisch brisant – eine Relevanz für das Examen scheint in einer solchen Konstellation vorprogrammiert.
Denn: Der zweite Senat des BVerfG hat am heutigen Tag (BVerfG, Urt. v. 12.06.2018 – 2 BvR 1738/12 u.a.) über die Verfassungsbeschwerden mehrerer verbeamteter Lehrer entschieden. Diese hatten sich – trotz Beamtenstatus und bestehenden Streikverbots für verbeamtete Lehrer – an einem Streik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beteiligt. Die zuständigen Schulbehörden ergriffen Disziplinarmaßnahmen (ein Beamter dürfe nicht ohne Genehmigung des Dienstherren vom Dienst fernbleiben), die die Lehrer vor den Verwaltungsgerichten erfolgslos angriffen, so dass es zur Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe kam.
I. Die Ausgangslage
Eine explizite Regelung, die verbeamteten Lehrern das Streikrecht versagen würde, fehlt im Grundgesetz. Deshalb wird eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG geltend gemacht. Kern des Verfahrens ist damit die Frage, ob die Koalitionsfreiheit auch ein Streikrecht für Beamte umfasst. Daneben wird eine Verletzung der Pflicht zur konventionskonformen Auslegung (Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit) gerügt. Art. 11 Abs. 1 EMRK gewährleiste nämlich dem Grundsatz nach jeder Person ein Streikrecht, und damit auch Beamten (streitig, vgl. dazu insbesondere die Entscheidung des EGMR, Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, NZA 2010, 1425, Demir u. Baykara / Türkei).
Allerdings besteht mit Art. 33 Abs. 5 GG eine Regelung über die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Unter dieser auch als „magna charta des Berufsbeamtentums“ bezeichneten Bestimmung versteht das BVerfG den „Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind“ (so bereits BVerfG, Beschl. v. 02.12.1958 – 1 BvL 27/55, BVerfGE 8, 332 = NJW 1959, 189). Anhand dieser Definition hat die Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg Strukturprinzipien entwickelt, die das Berufsbeamtentum in seiner heutigen Form kennzeichnen. Es handelt sich also um Einrichtungsgarantien, die funktionell mit der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verknüpft sind (näher BeckOK-GG/Hense, 36. Ed. 2018, Art. 33 GG Rn. 34). Zu nennen sind hier:
- Die Ausformung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis,
- die Ausformung des Beamtenverhältnisses als Treueverhältnis, das neben der Treuepflicht des Beamten als Gegenstück die Fürsorgepflicht des Dienstherren enthält,
- das Lebenszeit-, Laufbahn-, Leistungs- (Bestenauslese), Alimentations- und Neutralitätsprinzip,
- das Koalitionsrecht,
- und zuletzt das in Rede stehende Streikverbot.
II. Argumentationshilfen für die Klausur
Hintergrund dieses letztgenannten Strukturprinzips ist der Gedanke, dass der Staat stets handlungsfähig bleiben muss, was nur der Fall ist, wenn er sich auch in Krisenzeiten auf seine Beamten verlassen kann. Eine Ausnahme vom Streikverbot für bestimmte Gruppen von Beamten, hier Lehrer, könnte zu einem Ungleichgewicht der Grundsätze des Berufsbeamtentums führen. Um es plastisch zu machen: Die Beamten sollen sich nicht die positiven Seiten des Berufsbeamtentums „herauspicken“ können, ohne gleichzeitig auch die negativen Seiten in Kauf nehmen zu müssen. Denn dieses Ungleichgewicht könnte dazu führen, dass etwa das Alimentationsprinzip mit all seinen Vorzügen ebenfalls in Frage zu stellen wäre. Zudem könnte anderenfalls ein System von Beamten erster und zweiter Klasse entstehen, bestehend aus Beamten erster Klasse, die vom Streikrecht ausgenommen sind, und aus Beamten zweiter Klasse, für die das Streikrecht gerade fortbesteht. So warnte bereits der damalige Bundesinnenminister Thomas De Maizière. Einige Literaten gehen sogar davon aus, bei dem Streikverbot handele es sich um einen „konstitutiven Bestandteil der rechtsstaatlichen Demokratie“ (Di Fabio, Das beamtenrechtliche Streikverbot, 2012, Untertitel des Werkes).
Gegen eine ausnahmslose Geltung des Streikverbots streitet indes, dass die Handlungsfähigkeit des Staates möglicherweise auch dann gewährleistet werden könnte, wenn bestimmte Gruppen von Beamten vom Streikverbot ausgenommen würden. Insoweit wird von Seiten der verbeamteten Lehrer vorgeschlagen, nicht nach dem Beamtenstatus an sich zu differenzieren, sondern nach der Funktion, die der jeweilige Beamte ausübt (so auch Henriette Schwarz vom DGB). In Krisenzeiten müssten allein originär hoheitliche Tätigkeiten, wie sie etwa von Polizei oder Militär aus Sicherheitsgründen wahrgenommen werden, zwingend gewährleistet sein; der Unterricht in Schulen gehöre indes funktionell nicht dazu. Trifft diese Argumentation zu, unterfallen verbeamtete Lehrer nicht Art. 33 Abs. 4 GG und damit auch nicht dem Streikverbot des Art. 33 Abs. 5 GG. Soweit allerdings die erstgenannte Auffassung, die verbeamtete Lehrer als vom Streikverbot erfasst ansieht, zutrifft, könnte das Streikverbot, jedenfalls was verbeamtete Lehrer angeht, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
III. Die Entscheidung des BVerfG, Urt. v. 12.06.2018 – 2 BvR 1738/12 u.a.
In seinem heutigen Urteil hat das BVerfG sich den Argumenten der erstgenannten Ansicht weitestgehend angeschlossen. Das Streikverbot verstoße nicht gegen die Koalitionsfreiheit. Dem Urteil liegen die folgenden Erwägungen zu Grunde:
- Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist eröffnet. Dazu die Pressemitteilung des BVerfG Nr. 46/2018: „Zwar sind Beamte von der tariflichen Lohngestaltung ausgeschlossen. Entscheidend ist im konkreten Fall aber, dass die Disziplinarverfügungen die Teilnahme an gewerkschaftlich getragenen, auf – wenngleich nicht eigene – Tarifverhandlungen bezogene Aktionen sanktionieren. Ein solches umfassendes Verständnis von Art. 9 Abs. 3 GG greift im Sinne einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung auch die Wertungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 11 EMRK auf, wonach auch der Unterstützungsstreik jedenfalls ein ergänzendes Element der Koalitionsfreiheit darstellt.“
- Auch stellt das Streikverbot einen Eingriff dar, da die Koalitionsfreiheit verkürzt wird. Die Disziplinarmaßnahmen und deren fachgerichtliche Bestätigung hindern fraglos die verbeamteten Lehrer an der Teilnahme am Arbeitskampf.
- Allerdings ist der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
- Dazu das BVerfG: „Ein Streikrecht, auch nur für Teile der Beamtenschaft, griffe in den grundgesetzlich gewährleisteten Kernbestand von Strukturprinzipien ein und gestaltete das Verständnis vom und die Regelungen des Beamtenverhältnisses grundlegend um. Es hebelte die funktionswesentlichen Prinzipien der Alimentation, der Treuepflicht, der lebenszeitigen Anstellung sowie der Regelung der maßgeblichen Rechte und Pflichten einschließlich der Besoldung durch den Gesetzgeber aus, erforderte jedenfalls aber deren grundlegende Modifikation. Für eine Regelung etwa der Besoldung durch Gesetz bliebe im Falle der Zuerkennung eines Streikrechts kein Raum. Könnte die Besoldung von Beamten oder Teile hiervon erstritten werden, ließe sich die derzeit bestehende Möglichkeit des einzelnen Beamten, die verfassungsmäßige Alimentation gerichtlich durchzusetzen, nicht mehr rechtfertigen. Das Alimentationsprinzip dient aber zusammen mit dem Lebenszeitprinzip einer unabhängigen Amtsführung und sichert die Pflicht des Beamten zur vollen Hingabe für das Amt ab.“
- Kurzum: Das Streikverbot ist untrennbar mit den anderen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums verbunden; Ausnahmen davon zuzulassen, hieße, das gesamte System aus dem Gleichgewicht zu bringen.
- Zudem könne auf diese Weise auch praktische Konkordanz zwischen den tangierten der Koalitionsfreiheit und den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums hergestellt werden. Dazu das BVerfG: „Unabhängig hiervon verzichtete die Anerkennung eines Streikrechts für „Randbereichsbeamte“ auf die Gewährleistung einer stabilen Verwaltung und der staatlichen Aufgabenerfüllung jenseits hoheitlicher Tätigkeiten. Davon abgesehen schüfe ein solchermaßen eingeschränktes Streikrecht eine Sonderkategorie der „Beamten mit Streikrecht“ oder „Tarifbeamten“, die das klar konzipierte zweigeteilte öffentliche Dienstrecht in Deutschland durchbräche.“
- Darüber hinaus sei das Grundgesetz auch nicht konventionswidrig ausgelegt (und damit nicht gegen den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit verstoßen) worden. Denn: „Unabhängig davon, ob das Streikverbot für deutsche Beamte einen Eingriff in Art. 11 Abs. 1 EMRK darstellt, ist es wegen der Besonderheiten des deutschen Systems des Berufsbeamtentums jedenfalls nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK beziehungsweise Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK gerechtfertigt.“ Mithin kann die Frage, ob ein Eingriff vorliegt, offengelassen werden, eine Rechtfertigung aber mit ähnlicher Argumentation wie oben über Art. 11 Abs. 2 S. 1 und 2 EMRK begründet werden.
IV. Fazit
Die Entscheidung entfaltet eine erhebliche Breitenwirkung (so der Präsident des BVerfG, Andreas Voßkuhle) und betrifft rund 600.000 verbeamtete Lehrer in ganz Deutschland. Zu Recht geht das BVerfG davon aus, dass das Streikverbot ausnahmslos fortgelten müsse. Man überlege sich etwa, es käme zu Streiks der verbeamteten Lehrer während der zentralen Abiturprüfungen oder in unteren Jahrgangsstufen zu spontanen Schulausfällen. Insoweit ist das Urteil des BVerfG durchaus nachvollziehbar.