Das Verwaltungsgericht Dresden hat in einem Beschluss vom 23.04.2013 (Az. 6 L 82/13) festgestellt, dass die Nutzung einer Bundesstraße durch einen Staffellauf unzulässig ist und demzufolge eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis nicht erteilt werden kann (der beck-Ticker berichtete).
Die Fallgestaltung eignet sich sehr gut, um die – auch im Studium und Examen wichtige – Materie des Straßen- und Wegerechts zu wiederholen. Vertieft werden kann in diesem Zusammenhang insbesondere die Differenzierung zwischen Sondernutzung und Gemeingebrauch.
I. Gesetzliche Grundlagen
Die gesetzlichen Regelungen hierzu sind dem Landesrecht zuzuordnen. In NRW und Bayern bspw. entstammen sie dem Straßen- und Wegegesetz; andere Länder bezeichnen das Gesetz lediglich als Wegegesetz (Hamburg) oder Straßengesetz (bspw. Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Thüringen). Eine Übersicht über die Gesetze findet sich hier.
Für den Gemeingebrauch findet sich stets folgende bzw. eine ähnliche Regelung:
Der Gebrauch der öffentlichen Straßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet (Gemeingebrauch).
Wichtig ist dabei zu wissen, dass der Gemeingebrauch stets erlaubnisfrei zulässig ist.
Im Gegensatz dazu lautet für die Sondernutzung die Regelung:
Die Benutzung der Straßen über den Gemeingebrauch hinaus ist Sondernutzung. Die Sondernutzung bedarf der Erlaubnis der Straßenbaubehörde.
II. Gemeingebrauch/ Sondernutzung im Einzelfall
1. Allgemeine Begriffsbestimmung
Die Schwierigkeit ist damit im konkreten Fall zu bestimmen, ob in einer bezweckten Nutzung Gemeingebrauch oder Sondernutzung zu erkennen ist.
Entscheidend zur Definition ist damit der Zweck der Straße. Grundsätzlich ist ihr Hauptzweck die Benutzung zur Ortsveränderung. Damit ist jeder straßenrechtlich zugelassene ruhende und fließende Verkehr als Gemeingebrauch anzusehen. Dies zeigt sich auch in der Widmung der Straße als Bundesstraße o.ä. Wenn es sich hingegen um eine Fußgängerzone handelt, so ist auch die Benutzung durch Fußgänger zur Fortbewegung als Gemeingebrauch anzusehen. Auch solche Straßen sind ebenso wie bspw. Fuß- und Radwege unter den Anwendungsbereich des Straßen- und Wegegesetzes zu subsumieren (vgl. für NRW § 2 StrWG).
Dessen ungeachtet tritt aber nach der Rechtsprechung zumindest in besonderen Bereichen auch der kommunikative Aspekt zusätzlich zum eigentlichen Fortbewegungszweck hinzu. Die Straße/ der Weg dient nicht allein dem ungehinderten (Fußgänger)Verkehr, sondern auch der Kommunikation der Fußgänger untereinander. Damit sind bspw. auch das Betrachten von Schaufenstern sowie im Grundsatz auch kommunikative Aspekte als Gemeingebrauch anzusehen, wenn sie zumindest noch einen Bezug zur Fortbewegung haben.
Hierzu hat bspw. der VGH Mannheim (Urteil v. 31.01.2002 – 5 S 3057/99) dargelegt:
Unter „Verkehr“ im klassischen Sinn ist die Benutzung der Straße zum Zwecke der Ortsveränderung bzw. der Fortbewegung von Menschen und Sachen – unter Einschluss des „ruhenden Verkehrs“ – zu verstehen. In Fußgängerbereichen, ebenso in verkehrsberuhigten Bereichen zählen hierzu auch sonstige verkehrsbezogene Nutzungen wie etwa das Herumstehen oder das Sitzen/Ausruhen auf einer Bank. Darüber hinaus entspricht es dem modernen Funktionsbild vor allem von Fußgängerbereichen, aber auch verkehrsberuhigten Bereichen, dass hier auch andere Verhaltensweisen üblich sind, wie etwa das Betrachten von Schaufenstern oder sehenswerten Gebäuden sowie die Begegnung und Kommunikation mit anderen Passanten. Ein solch „kommunikativer Verkehr“ ist in der Aufenthaltsfunktion eines Fußgängerbereichs wie auch eines verkehrsberuhigten Bereichs angelegt und wird vom Widmungszweck dieser Verkehrsflächen gefördert.
2. Abgrenzung im Einzelfall
Gemeingebrauch scheidet freilich dann aus, wenn der kommunikative oder werbende Aspekt in den Vordergrund rückt und die Fortbewegung lediglich von untergeordneter Bedeutung ist. Hierfür finden sich in der Rechtsprechung zahlreiche Beispiele:
- So ist beispielsweise das Musizieren oder auch Malen in Fußgängerzonen stets als Sondernutzung anzusehen (BVerwG v. 19.12.1986 – 7 B 144/86); BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 20.05.1987 – 1 BvR 386/87).
- Auch das Aufstellen von Werbeständen ist als Sondernutzung anzusehen.
Umstritten ist, ob die das bloße (gezielte) Ansprechen von Passanten als Sondernutzung anzusehen ist, wenn keine weiteren Hilfsmittel verwendet werden (sog. Gehsteigberatung). Starke Tendenzen in der Rechtsprechung gehen dahin, dies zu verneinen (BVerfG , Beschl. v. 18.10.1991 – 1 BvR 1377/91; BVerwG, Urt. v. 07.06.1978 – 7 C 5.78; zuletzt VGH Bad.-Württemberg v. 11.10.2012 – 1 S 36/12). Siehe zu dieser sehr examensrelevanten Materie auch unseren Beitrag.
Ebenso zählt auch das Parken am Fahrbahnrand unstrittig zum Gemeingebrauch. Zwar dient dies nicht mehr unmittelbar der Fortbewegung, allerdings erfordert eine Fortbewegung im öffentlichen Verkehr bei objektiver Betrachtung eben auch das Parken. Die Grenze zur Sondernutzung ist aber dann überschritten, wenn das Parken lediglich oder überwiegend zu Werbezwecken erfolgt. Gleiches gilt auch, wenn Autofahrten lediglich werbende Zwecke haben. Hierzu legt bspw. das OVG NRW mit Urteil v. 12.07.2005 (Az. 11 A 4433/02) dar:
Das Abstellen eines zugelassenen und betriebsbereiten Kraftfahrzeuges auf einer zum Parken zugelassenen öffentlichen Straßenverkehrsfläche ist grundsätzlich ein straßenverkehrsrechtlich zulässiges Parken und damit eine Benutzung der Straße im Rahmen des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs. […]
Eine andere Sichtweise ist jedoch bei Fahrzeugen geboten, die allein oder überwiegend zu einem anderen Zweck als dem der späteren Wiederinbetriebnahme „geparkt“ werden mit der Folge, dass eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung der Straße vorliegt. Denn damit wird das Fahrzeug zu einer auf die Straße aufgebrachten verkehrsfremden „Sache“, nicht anders als jeder beliebige sonstige körperliche Gegenstand. Derartige Vorgänge fallen bereits aus der Widmung zum Verkehr und damit aus dem einschlägigen Gemeingebrauch heraus, da sie nicht „zum Verkehr“ geschehen. […]
Dies ist etwa der Fall, wenn die Straße trotz einer scheinbar äußerlichen Teilnahme am Straßenverkehr zum alleinigen oder überwiegenden Zweck der Werbung benutzt wird. Der Verkehrsraum wird dann zu verkehrsfremden Zwecken in Anspruch genommen, das Fahrzeug seiner Eigenschaft als Transportmittel entkleidet und als (motorisierte) Reklamefläche verwendet. Es ist daher in der Rechtsprechung im Grundsatz anerkannt, dass der Einsatz von Werbefahrzeugen den Gemeingebrauch überschreitet und eine straßenrechtliche Sondernutzung darstellen kann. Dies gilt sowohl für reine Werbefahrten mit Kraftfahrzeugen oder Anhängern […]
als auch für das Abstellen eines Kraftfahrzeuges zu Werbezwecken […] oder das Abstellen eines Reklameanhängers.
- Abzugrenzen ist somit, ob die Teilnahme am Verkehr tatsächlich der Fortbewegung dienen soll oder andere Zwecke im Vordergrund stehen.
- In diesem Kontext wird auch die Benutzung von Bierbikes behandelt. Auch hier steht nach Ansicht der Rechtsprechung die Fortbewegung nur im Hintergrund, sodass es sich um erlaubnispflichtige Sondernutzung handelt. (Siehe hierzu unsere Beiträge zum Urteil des BVerwG und OVG.)
- 3. Betrachtung im konkreten Fall
- Bei der Entscheidung des VG Dresden ging es um die Zulässigkeit eines Staffellaufs. Zwar steht hier auf den ersten Blick die Fortbewegung im Vordergrund, allerdings erfolgt diese hier allein anlässlich eines sportlichen Wettkampfs. Zudem ist sie auch außerhalb der Widmung der Bundesstraße, darf diese gerade nicht von Fußgängern genutzt werden. (Schwieriger wäre die Frage damit zu beantworten, wenn der Lauf in einer Fußgängerzone stattfinden sollte).
- III. Voraussetzung einer Erlaubnis zur Sondernutzung
- Ob eine Sondernutzungserlaubnis erteilt wird, steht im Ermessen der jeweiligen Straßenbehörde. Zu berücksichtigen sind dabei bspw. Grundrechte (insbes. bei der Genehmigung von Versammlungen und bei künstlerischen oder wissenschaftlichen Darbietungen etc.). Letztlich ist in jedem Fall gesondert abzuwägen. Dabei ist insbesondere die Stärke der Einschränken des widmungsgemäßen Verkehrs zu berücksichtigen. Hinweis: Ist Art. 8 GG betroffen, so kann offenbleiben, ob es sich bei einer Versammlung um Sondernutzung oder Gemeingebrauch handelt (für letzteres VGH Hessen v. 29.12.1987 – 3 TH 4068/87), da die Erlaubnisfreiheit aus Art. 8 GG bzw. aus dem VersG dann spezieller ist. Es bedarf damit lediglich der Anmeldung nach Art. 14 Abs. 1 VersG.
- Ein solcher Fall lag hier aber nicht vor. Die Behörde hat die unterschiedlichen Interessen auch ausreichend berücksichtigt:
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Die zuständigen Behörden führten aus, dass die Sperrung einer Bundesstraße nur in engen Ausnahmefällen in Betracht komme. Diese Straßen seien insbesondere zur Nutzung durch den überörtlichen Verkehr bestimmt. Eine Zustimmung zu ihrer Vollsperrung komme nur in Betracht, wenn dies aufgrund der Art der vorgesehenen Veranstaltung unumgänglich sei und andere Straßen nicht zur Verfügung stünden. Dies sei hier nicht der Fall, da die Stadt über einen großen Marktplatz und geeignete untergeordnete Straßen verfüge.
IV. Fazit/ Examensrelevanz
- Die Lösung des VG Dresden überrascht nicht. Dennoch eignet sich der Fall sehr gut das Wissen zum Straßen- und Wegerecht aufzufrischen. Dies ist gerade deshalb notwendig, da in letzter Zeit, wie gezeigt, einige sehr examensrelevante Fälle in diesem Rechtsgebiet entschieden wurden, die allesamt allein eine Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung erforderten. Hier ist dann ein gutes Problembewusstsein wichtig, um auch neue unbekannte Konstellationen lösen zu können.