BGH, Urteil v. 28.11.1967 – 5 StR 556/67 (= BGHSt 21, 384 ff.)
Wenn ein Provisionsvertreter jemanden durch Täuschung zu einer Bestellung veranlaßt und sich von seiner Firma Provision für den angeblich ordnungsmäßigen Auftrag zahlen läßt, so kann darin ein Betrug zum Nachteil sowohl des Kunden als auch der Firma liegen.
1. Der Sachverhalt
Der A verkaufte als Provisionsvertreter der Firma F Waren-, insbesondere Zigarettenautomaten. Um seine Umsätze zu steigern, griff er zu allerhand unsauberen Tricks. So spiegelte er Frau W und dem Invaliden B vor, es handele sich nicht um einen Kauf-, sondern nur um einen Automaten-Aufstellvertrag. Dem Gelderheber Kl nannte er günstigere Zahlungsbedingungen für den Kaufpreis. Von dem Tankstelleninhaber Kü nahm er über den Kauf eines Automaten unter einem Vorwand zwei Vertragsurkunden auf, die er beide an F einreichte. Den Arbeiter U täuschte er über die Ausstattung und den Wert des zu bestellenden Zigarettenautomaten. Alle geschlossenen Verträge reichte A zum Zwecke der Auszahlung einer Provision bei der F ein. In der Folgezeit nahm keiner der fünf Personen den Automaten ab. Gegen Kü erging Versäumnisurteil. U zahlte eine Vergleichssumme i.H.v. 820 DM. Die Bemühungen der Firma F, von Frau W und von B Zahlung zu erlangen, blieben erfolglos. Kl hatte die Bestellung alsbald zurückgenommen.
2. Die Kernfrage
Beim Provisionsvertreter-Fall geht es im Wesentlichen um zwei Kernfragen, die beide beim Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB) angesiedelt sind: 1.) Erleiden die Besteller der Automaten überhaupt einen Schaden, wenn sie den Preis, den die Ware tatsächlich wert ist, an die Firma F zahlen müssen? 2.) Wie verhält sich die Täuschung beim Verkauf der Warenautomaten an die Kunden zu dem Provisionsverlangen des A gegenüber der F?
3. Das sagt der BGH
Der BGH hat sowohl einen Betrug zu Lasten der Kunden als auch einen weiteren Betrug zu Lasten der Firma F angenommen.
a) Das Gericht beschäftigt sich dabei zunächst mit dem Betrug zu Lasten der Firma F durch das Einreichen der abgeschlossenen Verträge:
Wie die Strafkammer mit Recht annimmt, hat der Angeklagte die Firma F betrügerisch geschädigt oder im Falle Kl zu schädigen versucht, indem er ihr „einen scheinbar ordnungsgemäßen, in Wahrheit aber mit einem Makel behafteten Vertrag zum Zwecke der Auszahlung einer Provision einreichte, obwohl er mit einer Anfechtung des Kaufvertrages“ rechnete (UA S. 8/9, 11, 14, 18, 23). Der Firma F gelang es zwar, von dem Arbeiter U auf Grund des Vertrages eine größere Zahlung zu erhalten. Dadurch wurde aber ihr Schaden, der in der festgestellten Auszahlung einer Provision für einen wirtschaftlich minderwertigen Kaufvertrag lag, nur nachträglich wieder beseitigt.
b) Sodann bejaht der BGH entgegen der Meinung der Revision und übereinstimmend mit der Vorinstanz auch einen Vermögensschaden und damit eine Verwirklichung des § 263 StGB zu Lasten der Kunden des A. Der Senat beschäftigt sich dabei zunächst mit den Verträgen, die von Frau W und B abgeschlossen wurden und bei denen A vorgetäuscht hatte, dass es sich nicht um Kauf-, sondern Automaten-Aufstellungsverträge handele:
Frau W und B wollten keinen Warenautomaten erwerben und bezahlen. Das Landgericht nimmt ohne Rechtsirrtum an, daß er „für sie keinen Wert hatte“ (UA S. 7, 11). Es hält dabei nicht etwa unrichtigerweise „die persönliche Einschätzung des Schadens durch den Getäuschten“ für maßgebend, sondern nimmt erkennbar an, daß der Getäuschte bei seinen persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen „die Sache nach der Auffassung eines sachlichen Beurteilers nicht oder nicht im vollen Umfange für den von ihm vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden“ konnte (BGHSt 16, 321, 325/326).
Sodann wendet sich das Gericht dem Vertragsschluss zu Lasten von Kü (dem ein zweiter Vertrag aufgedrängt wurde) sowie U zu, welchem A eine von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichende Ausstattung der Zigarettenautomaten versprochen hatte:
Dasselbe gilt für Kü, der für einen zweiten Automaten ersichtlich keine Verwendung hatte. Für U war, wie der Urteilszusammenhang, insbesondere der gezahlte hohe Abstand, ergibt, der Zigarettenautomat ohne Schächte unbrauchbar.
Schließlich beschäftigt sich das Gericht mit dem Vertragsschluss zu Lasten des Kl, dem A vorgespiegelt hatte, wenn die Einnahmen aus dem Automaten nicht ausreichten, um die Raten aufzubringen, würden sich diese automatisch verringern.
Das Landgericht sieht den Vermögensschaden rechtlich zutreffend darin, daß die im Vertrage niedergelegten Abzahlungsraten den Käufer Kl zu stark belasteten. Es glaubt ersichtlich seiner Aussage, er habe monatlich etwa 800 DM verdient, eine Familie mit vier Kindern ernähren müssen und Verpflichtungen durch den Bau eines Eigenheimes gehabt; er sei daher nicht in der Lage gewesen, monatlich 141,50 DM auf den Automaten abzuzahlen, und habe das dem Angeklagten mehrfach gesagt. Wie sich aus diesen Feststellungen ergibt, hätte die Einhaltung der festgesetzten Raten dem Käufer Kl die Mittel entzogen, „die für die Aufrechterhaltung einer seinen Verhältnissen angemessenen Wirtschafts- und Lebensführung unerläßlich“ waren (BGHSt 16, 321, 328).
c) Zuletzt nimmt sich der BGH noch der Frage an, ob von einem Vermögensschaden bzw. einer hierauf bezogenen Bereicherungsabsicht zugunsten der Firma F auch dann ausgegangen werden kann, wenn die Kunden – wie hier – größtenteils überhaupt keine Zahlungen auf die abgeschlossenen Verträge geleistet haben. Der Senat führt hierzu aus:
Die Einwendungen der Revision übersehen, daß es sich in allen fünf Fällen um Eingehungsbetrug handelt, der Vermögensschaden also schon in der Begründung der Verpflichtung lag. (…) Dieser Verpflichtung entsprach die Forderung, die der Angeklagte zugunsten der Firma F durch den Vertrag begründen wollte, auf dessen Abschluß sie keinen Anspruch hatte. Seine Absicht war also, einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, der die Kehrseite des Vermögensschadens der Besteller war (BGHSt 6, 115, 116; BGH NJW 1961, 684).
Insofern lässt es das Gericht ebenfalls nicht gelten, dass die Verträge der Geschädigten durch Täuschung erschlichen waren, so dass sich diese – zivilrechtlich betrachtet – jederzeit ihrer Verbindlichkeiten durch Erklärung einer Anfechtung (§§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB) hätten entledigen können:
Die Verträge waren zwar wegen arglistiger Täuschung anfechtbar, und der Angeklagte rechnete, wie festgestellt, mit einer Anfechtung. Das schließt aber weder den Vermögensschaden der Kunden noch die Absicht des Angeklagten aus, die Firma F zu Unrecht zu bereichern. Denn beim Eingehungsbetrug bleibt die Anfechtbarkeit des Geschäfts außer Betracht. Sonst gäbe es diese Art des Betruges gar nicht. Überdies waren die anfechtbaren Verträge für die Firma F zwar nicht die dafür gezahlten Provisionen wert, aber wirtschaftlich nicht gänzlich wertlos. Denn es bestand die Möglichkeit, daß die Anfechtung des einen oder anderen Vertrages erfolglos war oder überhaupt unterblieb, weil der Besteller keine ausreichenden Beweismittel hatte oder zu haben glaubte. Er konnte sich aus einem solchen Grunde auch bereit finden, eine Abstandssumme zu zahlen, wie der Arbeiter U es tat. Nach dem Urteilszusammenhang war es auch die Absicht des Angeklagten, der Firma F eine solche, wenn auch schwache, Rechtsposition und damit die Aussicht zu verschaffen, nachträglich wenigstens teilweise den Schaden wieder auszugleichen, den er ihr betrügerisch zugefügt hatte.
4. Fazit
Der Provisionsvertreter-Fall ist einer der ewigen Kernfälle zum Betrug, den jeder Student und Referendar kennen sollte. Dabei ist die Verwirklichung des § 263 Abs. 1 StGB zu Lasten des Chefs des A, der Firma F, relativ unproblematisch, sofern man – wie hier der BGH – argumentiert, dass die Verträge, welche der F als Ausgleich für die geleisteten Provisionszahlungen zugewandt werden sollten, aufgrund der drohenden Anfechtung durch die Kunden wirtschaftlich wertlos bzw. in ihrem Wert jedenfalls stark gemindert waren – so würde auch niemand auf die Idee kommen, von einem anderen eine Forderung, die diesem gegenüber einem Dritten zusteht, aufzukaufen (vgl. §§ 433, 453 BGB), wenn letzterer seine Verbindlichkeit durch Anfechtung jederzeit problemlos aus der Welt schaffen kann. Demgegenüber weist der dem A ebenfalls angelastete, vorgelagerte Betrug gegenüber den Kunden mehr Schwierigkeiten auf, die im Folgenden daher nochmals kurz anhand der einzelnen Prüfungsmerkmale angerissen werden sollen:
a) Hierbei sind zunächst die Merkmale der Täuschung und des Irrtums des jeweiligen Opfers unproblematisch. Die sich anschließende Vermögensverfügung durch den einzelnen Kunden ist hingegen dann, wenn überhaupt keine Zahlungen von diesen an die Firma F geleistet wurden, nicht so einfach zu begründen. Insofern könnte man, da immerhin die Tathandlung des „Täuschens über Tatsachen“ durch den A bereits vollzogen war, auch an einen lediglich versuchten Betrug denken, der gem. § 263 Abs. 2 StGB auch mit Strafe bedroht ist. Die Rspr. kommt mithilfe der Rechtsfigur der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ demgegenüber sogar zu einem vollendeten Betrug, indem sie argumentiert, dass in einem Fall, in dem das Opfer einen Vertrag mit Vorleistungspflicht eingeht, bereits in der Verbindlichkeit, die nach Vertragsschluss drohend über dem Kunden schwebt, ein grundsätzlich jederzeit realisierbarer Vermögensabfluss liegt. Die Prüfung einer solchen schadensgleichen Vermögensgefährdung, die bereits von ihrem Wortlaut her den Fokus auf die Frage des „Schadens“ legt, wird man konsequenterweise aber schon bei der vorgelagerten Frage der Vermögensverfügung ansetzen müssen, die – abzüglich der Frage nach einer Kompensation des durch die Verfügung eingetretenen, wirtschaftlichen Verlustes – bereits den Grundstein für die erst hiernach zu beantwortende Frage nach dem Vermögensschaden bildet.
b) Beim zuletzt genannten Prüfungspunkt, dem Vermögensschaden, weicht der BGH sodann unter mehrfachem Verweis auf BGHSt 16, 321, 325 ff. von dem Grundsatz ab, dass sich ein Vermögensschaden allein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt. Unter dieser Prämisse könnte man nämlich durchaus argumentieren, dass der Vermögensverlust, der für den einzelnen Kunden durch die Verbindlichkeit i.F. der Kaufpreisforderung zu Gunsten der F entsteht, durch die Forderung auf Lieferung eines wertgleichen Zigarettenautomaten wieder in Ausgleich gebracht wird, so dass von einem negativen Saldo zu Lasten der Besteller nicht gesprochen werden kann. Vorliegend nimmt der BGH indes zwei Ausnahmen von einer rein wirtschaftlichen Betrachtung an, die gemeinhin unter dem Oberbegriff des sog. „individuellen Schadenseinschlags“ gefasst werden: Das Gericht verweist hierfür einerseits darauf, dass einige Kunden die Automaten „nicht oder nicht im vollen Umfange für den von ihm vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden“ konnten, andererseits stellt es – im Fall von Kl – fest, dass diesem durch die tatsächlich fällig werdenden Raten Mittel entzogen wurden, „die für die Aufrechterhaltung einer seinen Verhältnissen angemessenen Wirtschafts- und Lebensführung unerläßlich“ waren.
c) Ein im Urteil ebenfalls explizit angesprochener Streitpunkt bildet schließlich die Frage nach der subjektiven Bereicherungsabsicht des A: Hier kann jedenfalls bei der Prüfung des Betrugs zu Lasten der Kunden nicht unmittelbar auf die von A erwartete Provisionszahlung – als Gegenstand seiner Eigenbereicherungsabsicht – abgestellt werden, da diese nicht durch die Kunden, sondern seinen Arbeitgeber, die Firma F, geleistet wird; der Schaden der Kunden ist also nicht „stoffgleich“ zu der von A erstrebten Eigenbereicherung, was jedoch, da der Betrug kein bloßes Vermögensschädigungs-, sondern vielmehr ein Vermögensverschiebungsdelikt darstellt, erforderlich wäre, um den Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB auch im Hinblick auf die abgeschlossenen Kaufverträge begründen zu können. Demgemäß bleibt hier nur die Variante der Drittbereicherungabsicht übrig, da die Verbindlichkeiten der Kunden, die deren Vermögensverfügung und -schaden zugrundelegen, unmittelbar die F als Inhaber der entsprechenden Forderungen begünstigen. Wenn der BGH insoweit argumentiert, dass immerhin die Möglichkeit bestand, dass die Anfechtung des einen oder anderen Vertrages erfolglos blieb, weil die Besteller keine ausreichenden Beweismittel zum Nachweis der Täuschung vorweisen konnten, so erscheint dies im Hinblick auf das kognitive Element des dolus directus 1. Grades, das nicht höher als beim dolus eventualis zu liegen braucht und also die bloße Möglichkeit der schlussendlichen Erfüllung der Kaufpreisforderung durch die Kunden ausreichen lässt, durchaus überzeugend. Nicht angesprochen wird vom Gericht demgegenüber das voluntative Element dieser Vorsatzform, wonach der Täter eine Eigen- bzw. Drittbereicherung erstreben, dieses also sein zwingendes Ziel sein muss. Ein solches Erstreben des A zugunsten der F könnte man hier mit der Begründung in Frage stellen, dass es ihm maßgeblich auf seine eigene Provision, nicht unbedingt die Drittbereicherung seiner Firma, ankam. Geht man aber mit dem BGH davon aus, dass bereits im Vertragsschluss die Vermögensverfügung und – mangels ausreichender Kompensation – auch der Schaden der Opfer zu sehen ist, so ist die hieraus als Kehrseite resultierende Bereicherung der F jedenfalls notwendiges Zwischenziel des A auf dem Weg zu seiner eigenen Vermögensmehrung: Denn nur aufgrund der eingereichten Verträge, welche die Bereicherung der F begründen, konnte auch A auf Auszahlung der von ihm ins Auge gefassten Provisionsbeträge hoffen. Solche notwendigen Bedingungen auf dem Weg zum Endziel des Täters werden aber von diesem regelmäßig ebenso erstrebt wie das Endziel selbst.