Wir hatten bereits in einer kurzen Zusammenfassung auf eine examensrelevante Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6.7.2010 (3 StR 180/10) hingewiesen, in der der BGH seine Rechtsprechung bestätigte, dass bei handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen ein bloßes Ergreifen und Festhalten für einen Gewahrsamsbruch jedenfalls dann ausreicht, wenn der Berechtigte seine ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt herstellen kann. Der Sachverhalt der BGH Entscheidung eignet sich für eine Strafrecht Klausur, um das systematische Verständnis der Vermögensdelikte abzuprüfen.
Sachverhalt
A bittet B, ihm doch einmal sein Handy zu zeigen. Ohne dessen Einverständnis nimmt A es dem B aus der Hand und verlangt von ihm, nachdem er es sich angesehen hat, 20 Euro für die Rückgabe des Telefons. Dabei kommt es ihm nicht auf das Handy, sondern auf das Geld an. B lehnte jedoch eine Zahlung ab. Hierauf fasste A den Entschluss, das Mobiltelefon zu behalten und für eigene Zwecke zu verwenden. Er entnahm die SIM-Karte, die er dem B aushändigte, steckte das Telefon in eine Jackentasche und entfernte sich. B folgte A und forderte sein Eigentum zurück. Um sich im Besitz des Handys zu halten, schlug A dem B daraufhin mit der flachen Hand ins Gesicht, was bei B eine schmerzhafte Schwellung zur Folge hatte und drohte B in unmittelbarem Anschluss mit weiteren Schlägen für den Fall, dass er ihm weiter hinterher ginge. Dem fügte sich der B. Prüfen Sie die Strafbarkeit des A?
Lösung
I. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGB
A könnte sich, indem er dem B das Handy aus seiner Hand nahm, wegen Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
1. obj. TB
Das Handy stand im Eigentum des B und stellt mithin für A eine fremde bewegliche Sache dar. A müsste das Handy auch weggenommen haben.
Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Gewahrsam ist die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache getragen von einem natürlichen Herrschaftswillen, der sich nach der Verkehrsauffassung bestimmt. Dabei ist hinsichtlich der Sache zu unterscheiden, ob es sich um einen handlichen und leicht beweglichen Gegenstand oder aber um eine große und schwere Sache handelt.
BGH:
„Bei handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen genügt ein bloßes Ergreifen und Festhalten jedenfalls dann, wenn der Berechtigte seine ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt wiederherstellen könnte (BGH NStZ 2008, 624, 625 m.w.N.).“
Hier hatte der A das Handy des B ohne dessen Einverständnis aus der Hand genommen. Der B müsste, um wieder die Verfügungsgewalt über das Handy zu erlangen, erst den Widerstand des A brechen. Mithin hat A das Telefon weggenommen.
2. subj. TB
A handelte auch vorsätzlich.
Fraglich ist jedoch, ob der A zum Zeitpunkt der Wegnahme Zueignungsabsicht hatte. Laut Sachverhalt fasste und äußerte der A seinen Entschluss erst, nachdem er bereits den Gewahrsam an dem Handy begründet hatte.
Zwischenergebnis: Mangels Zueignungsabsicht hat sich A mithin nicht wegen Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
II. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGB
A könnte sich jedoch einer Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben. Dafür müsste er sich eine fremde Sache rechtswidrig zugeeignet haben. Laut Sachverhalt nahm der A die SIM-Karte aus dem Handy, steckte es ein und entfernte sich. Mithin hat A auch durch eine nach außen erkennbare Handlung seinen Zueignungswillen manifestiert.
Zwischenergebnis: A hat sich wegen einer Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
III. Strafbarkeit gem. § 252 StGB
A könnte sich zudem noch eines räuberischen Diebstahls gem. § 252 StGB schuldig gemacht haben, indem er im Anschluss an die Erlangung des Gewahrsams an dem Handy gegenüber B tätlich wurde.
Voraussetzung des § 252 StGB ist jedoch eine von Zueignungsabsicht getragene vollendete Wegnahme. Diese lag hier jedoch nicht vor. (s.o.) Mithin liegt hier keine Vortat i.S.d. § 252 StGB vor.
A hat sich nicht wegen räuberischen Diebstahls gem. § 252 StGB strafbar gemacht.
IV. Strafbarkeit gem. §§ 253 Abs. 1, 255 StGB
Vorliegend scheidet auch eine räuberische Erpressung des A nach §§ 253 Abs. 1, 255 StGB aus, da über den Verlust des Besitzes am Handy hinaus, der jedoch bereits durch die vorangegangene Unterschlagung verwirklicht worden ist, kein Vermögensschaden beim B eingetreten ist. (nach h.M.)
V. Strafbarkeit des A gem. § 223 Abs. 1 StGB durch den Schlag ins Gesicht (+)
VI. Strafbarkeit des A gem. § 240 Abs. 1 StGB durch das Androhen weiterer Schläge gegenüber dem B für den Fall des Weiterverfolgens (+)
Konkurrenzen: Zur Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB tritt tatmehrheitlich die vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) hinzu.
Ergebnis: A hat sich wegen Unterschlagung und wegen Körperverletzung in Tateinheit
mit Nötigung strafbar gemacht.