Die Berufsfreiheit stellt eines der klausurträchtigsten Wirtschaftsgrundrechte dar und ist daher regelmäßig Gegenstand von öffentlich-rechtlichen Examens- und Übungsklausuren. Die folgende Darstellung soll einen Überblick über die Grundrechtsprüfung von Art. 12 I GG und den damit zusammenhängenden wesentlichen Problempunkten verschaffen.
A. Schutzbereich
I. Personeller Schutzbereich
1. Natürliche Personen
- Art. 12 I GG ist ein sog. Deutschengrundrecht. Geschützt sind also zunächst alle Deutschen i.S.d Art. 116 GG.
- Problem: Können sich EU-Ausländer auf Art. 12 I GG berufen?
E. A.: Art. 12 I GG gilt nur für Deutsche. Für EU-Ausländer bleibt es beim Schutz aus Art. 2 I GG (Wortlautargument). Einige Literaten plädieren hierbei allerdings für eine Anhebung des Schutzniveaus von Art. 2 I GG, so dass im Ergebnis die Grundrechtsdogmatik des Art. 12 I GG zur Anwendung kommt.
A. A.: Alle EU-Ausländer sind Deutsche i.S.d Grundgesetzes. Begründet wird dies mit dem unionsrechtlichen allgemeinen Diskriminierungsverbot.
Vermittelnde Ansicht: EU-Ausländer können sich auf Deutschengrundrechte berufen, wenn und soweit das Gemeinschaftsrecht die Gleichbehandlung mit Deutschen im konkreten Fall gebietet, was insbesondere im Rahmen der Ausübung von Grundfreiheiten der Fall ist (Inländergleichbehandlungsgebot im Rahmen der Grundfreiheiten).
2. Juristische Personen
- Juristische Personen sind grundrechtsberechtigt, wenn die jeweilige Tätigkeit nach Art und Wesen ebenso von natürlichen Personen ausgeübt werden kann (vgl. Art. 19 III GG; BVerfGE 21, 262, 266; Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 10).
II. Sachlicher Schutzbereich
1. Berufsbegriff
- Obwohl der Wortlaut des Art. 12 I GG Gegenteiliges andeutet, handelt es sich um ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit. Die in Art. 12 I GG bezeichneten Stadien eines Berufsweges sind keiner strikten Trennung zugänglich. So beginnt die Berufsausübung schon mit der Wahl des Berufes und durch die Berufsausübung wird die Berufswahl immer wieder aufs Neue bestätigt (Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 879- 881).
- Definition des Berufsbegriffs: Beruf ist jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient (BVerfGE 78, 179, 193).
- Die Erwerbsabsicht muss den Zweck der Tätigkeit prägen (so etwa bei Nebenberufen, nicht hingegen bei der Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten). Eine erfolgreiche Mehrung des Vermögens wird nicht vorausgesetzt.
- Dauerhaftigkeit liegt vor, wenn sich die Tätigkeit nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft, sondern auf Nachhaltigkeit angelegt ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Tätigkeit in selbstständiger oder nichtselbstständiger Weise ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 97, 228, 253).
- Zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienen solche Tätigkeiten nicht, die nichts zum Lebensunterhalt beitragen. Geschützt sind also auch wenig ertragreiche Tätigkeiten, die für sich genommen kein Auskommen sichern. Entscheidend ist, dass die Tätigkeit zumindest zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage beiträgt (Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 4 f.).
Sonderprobleme:
- Sind auch unerlaubte Tätigkeiten geschützt?
Rspr.: Nur erlaubte Tätigkeiten sind vom Schutzbereich der Berufsfreiheit erfasst. Gesetzlich unerlaubte bzw. verbotene Tätigkeiten unterfallen nicht dem Schutzbereich von Art. 12 I GG (BVerfGE 7, 377, 397).
Kritik: Der Staat könne so durch gesetzgeberische Aktivität selbst bestimmen, welche Tätigkeiten von Art. 12 I GG geschützt sein sollen und welche nicht. Eine solche Schutzbereichsdisponibilität des Gesetzgebers ist vom Grundgesetz nicht gewollt, da sie zu Freiheitsbeschränkungen führen kann. Dem wird entgegengehalten, dass es absurd wäre, Handlungen, die per se darauf abzielen Schutzgüter anderer zu verletzen (also solche die ihrem Wesen nach als Verbot anzusehen sind), durch Art. 12 I GG zu schützen. Jedenfalls dürften offensichtlich sozialschädliche Tätigkeiten nicht vom Schutzbereich der Berufsfreiheit erfasst werden. Im Einzelfall könnte es allerdings äußerst schwierig sein zu bestimmen, was sozialschädlich ist. Aufgrund dieser Unbestimmtheit des Kriteriums der Sozialschädlichkeit, die im engen Zusammenhang zu ethisch-moralischen Wertvorstellungen des Einzelnen steht, ist es empfehlenswert der wohl h.L zu folgen und auch unerlaubte Tätigkeiten in den Schutzbereich der Berufsfreiheit miteinzubeziehen. Etwaige Beeinträchtigungen Dritter sind dann auf Rechtfertigungsebene im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen (vgl. Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 350).
- Sind öffentliche Ämter Berufe i.S.d Art. 12 I GG ?
E.A.: Öffentliche Ämter sind keine Berufe i.S.d Art. 12 I GG (Dreier/Wieland, GG, Band 1, Art. 12 Rn. 58). Insoweit werde Art. 12 GG durch Art. 33 GG verdrängt. Die Berufsfreiheit ermächtige nicht zur Erfüllung von Aufgaben, die der Staat ansichgezogen hat und durch seine Einrichtungen wahrnimmt. Öffentliche Ämter sind danach Teil der Staatsorganisation und als solche nicht Gegenstand bürgerlicher Freiheiten.
A. A.: Im Hinblick auf die jeder Berufstätigkeit innewohnenden Komponente der Persönlichkeitsentfaltung gilt die Berufsfreiheit grundsätzlich auch für die Inhaber öffentlicher Ämter, wobei Art. 12 I i.V.m Art. 33 GG zu prüfen sei (vgl. Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 348). Entscheidendes Ausschlusskriterium ist, ob und inwieweit die Tätigkeit hoheitlichen Charakter aufweist und somit Privaten die Ausübung entzogen ist.
2. Gewährleistungsinhalte
- Art. 12 I GG schützt sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung (einschließlich der Wahl des Ausbildungsplatzes sowie die Wahl der Arbeitsstätte). Der Schutz der Berufsausübung umfasst im Wesentlichen Form, Mittel, Inhalt und Umfang der beruflichen Tätigkeit.
- Die Berufsfreiheit soll die Teilhabe am Wettbewerb gewährleisten. Sie schützt nicht vor Konkurrenz durch Private oder der öffentlichen Hand. Erst wenn eine erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand dem Einzelnen die Ausübung seiner Tätigkeit unmöglich macht bzw. wenn die öffentliche Hand in einem bestimmten Bereich eine Monopolstellung einnimmt oder sich unangemessene Wettbewerbsvorteile verschafft, kann sich der Einzelne auf den Schutz der Berufsfreiheit berufen.
- Es besteht kein Leistungsrecht des Bürgers auf Arbeit.
- Die Berufsfreiheit schützt auf negativer Ebene auch die Freiheit keinen Beruf zu ergreifen oder auszuüben. Niemand darf zur Arbeit gezwungen werden (teilweise wird sogar die Ansicht vertreten, die Freiheit von Arbeitszwang als selbstständiges Grundrecht aufzufassen).
- Art. 12 I GG schützt den Erwerb.
B. Eingriff in den Schutzbereich
- Neben klassischen Eingriffen in die Berufsfreiheit kommen auch lediglich mittelbare Eingriffe in den Schutzbereich in Betracht. Der Eingriff muss nach Lesart des BVerfG eine objektiv berufsregelnde Tendenz aufweisen (BVerfGE 97, 228, 254). Eine objektiv berufsregelnde Tendenz liegt vor, wenn die staatliche Maßnahme zur Änderung der Rahmenbedingungen einer beruflichen Tätigkeit führt und ein enger Zusammenhang zur Ausübung des jeweiligen Berufs besteht.
Hinsichtlich des Prüfungsaufbaus bietet es sich an bereits im Rahmen der Eingriffsprüfung die drei unterschiedlichen Eingriffsarten i.S.d. Drei-Stufen Theorie darzustellen und festzustellen, um welche dieser Eingriffsarten es sich im konkreten Fall handelt. Ebenso vertretbar ist es allerdings die Drei-Stufen Theorie vollständig im Bereich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu verorten.
- Nach der Drei-Stufen Theorie unterscheidet man zunächst zwischen drei Arten von Eingriffstypen:
- Objektive Zulassungsschranken sind solche Regelungen, die für die Wahl eines Berufes die Erfüllung objektiver, dem Einfluss des Berufswilligen entzogener und von seiner Qualifikation unabhängiger Kriterien voraussetzen (bspw. Bedürfnisklauseln).
- Subjektive Zulassungsvoraussetzungen knüpfen die Berufswahl hingegen an persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen, erworbene Abschlüsse und/oder erbrachte Leistungen. Vereinfacht gesprochen handelt es sich dabei um Berufswahlkriterien, die in der Person des Berufswilligen selbst liegen.
- Berufsausübungsregelungen sind Bedingungen und Modalitäten, unter denen bzw. in denen sich die berufliche Tätigkeit vollzieht (bspw. Aufenthalts- und Anmeldepflichten, Vergütungsbestimmungen, Werbebestimmungen, Ladenöffnungszeiten).
C. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
I. Gesetzesvorbehalt
Da Berufswahl und Berufsausübung einen einheitlichen Schutzbereich bilden, bezieht sich auch der in Art. 12 I 2 GG normierte einfache Gesetzesvorbehalt auf das gesamte Grundrecht (BVerfGE 7, 377, 402). Beachte: Standesrechtliche Richtlinien sind keine Gesetze!
II. Formelle Rechtfertigung
Hierbei ist zu untersuchen, ob das formelle Gesetz in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen ist. Wurden Kompetenz und Verfahren, wie sie vom GG in den Artikeln 70 ff. vorgegeben sind, eingehalten? Beachte: Das Zitiergebot gilt hier nicht.
III. Materielle Rechtfertigung
Die vom BVerfG entwickelte Stufenlehre unterscheidet zwischen drei verschiedenen Eingriffsarten: den Berufsausübungsregelungen, den subjektiven Zulassungsvoraussetzungen sowie den objektiven Zulassungsschranken als drei Stufen zunehmender Eingriffsintensität, wobei mit der Zunahme der Eingriffsintensität eine Abnahme des gesetzgeberischen Spielraums einhergeht. Je intensiver der Eingriff, desto höher ist die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte und damit auch die Rechtfertigungsanforderungen. Im Ergebnis stellt die Drei-Stufen Lehre demnach eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar.
1. Legitimer Zweck
- Stufenlehre und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangen also, dass der Eingriff geeignet ist einen legitimen Zweck zu erreichen. Die Legitimität des Zwecks richtet sich dabei nach der Eingriffsintensität bzw. der Eingriffsstufe.
- Berufsausübungsregelungen können jeden Gemeinwohlzweck verfolgen. Hierbei sollte man allerdings beachten, dass nach nunmehr gefestigter Verfassungsrechtsprechung gem. Art. 12 I i.V.m. Art. 3 I GG eine Berufsausübungsregel diskriminierungsfrei ausgestaltet sein muss (mehr dazu hier).
- Subjektive Zulassungsvoraussetzungen dürfen nur Zwecke verfolgen, die dem Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts dienen. Die jeweilige Regelung muss also sicherstellen können, dass die Berufsausübung durch Berufswillige ordnungsgemäß und ohne besondere Gefahren für die Allgemeinheit vonstatten geht.
- Objektive Zulassungsschranken dürfen nur den Zweck verfolgen eine nachweisbare oder höchstwahrscheinliche Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut abzuwehren. Dazu zählen beispielsweise heterogene Gemeinschaftsgüter wie die Gesundheitsversorgung, die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherungen, die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege und die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs.
2. Erforderlichkeit des Eingriffs
- Es darf keine Eingriffsoption ersichtlich sein, die den Bürger weniger intensiv belastet und zur Erreichung des verfolgten Zwecks ebenso geeignet ist.
- Faustformel: Ein Eingriff ist nicht erforderlich, wenn ein Eingriff auf niedrigerer Stufe hätte stattfinden können, der den verfolgten Zweck genauso gut erreichen kann. Allerdings kann ein Eingriff auf niedrigerer Stufe im Einzelfall eine intensivere Belastungswirkung hervorrufen als ein Eingriff auf höherer Stufe. Eine Einzelfallbewertung ist dann unabdingbar.
3. Angemessenheit
- Zunächst ist eine Gegenüberstellung der betroffenen Rechtsgüter und abstrakte Wertung dieser Interessen durchzuführen.
- Daran schließt sich eine Wertung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter und Interessen in der konkreten Situation an.
- Letztlich muss zwischen den Rechtsgütern abgewogen werden.