Strafrecht SI – Oktober 2014 – 1. Staatsexamen NRW
Vielen Dank an Stephanie für das Zusenden eines Gedächtnisprotokolls der ersten gelaufenen Klausur des 1. Staatsexamens im Strafrecht im Oktober 2014 in NRW. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
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Sachverhalt
A ist Mitglied der rechtsradikalen R-Partei. Im Internet hat er sich im Juni im Dialog mit rechtsradikalen Gesinnungsgenossen über die „Linken“ ausgetauscht. Dabei schrieb A: „Die Linken sind wie lästige Zecken. Ich würde mich freuen, wenn mich mal einer von ihnen angreift, dann würde ich ihm das Messer in die Fresse rammen. Und das wäre sogar noch Notwehr.“
Im Juli wird auf einem Acker eine Kundgebung/Versammlung der rechtsradikalen R-Partei organisiert. Die Zufahrt erfolgt über einen Pendlerparkplatz. A hat dabei die Aufgabe übernommen, auf dem Parkplatz die Besucher helfend zur Veranstaltung zu lotsen.
K, S und P gehören zu den Linken. Alle Drei haben vereinbart, auf jeden Fall den Besuchern den Weg zur Parteiveranstaltung zu versperren.
Dort angekommen, erkennen K, S und P von weitem den A, der ihnen aus den rechtsradikalen Kreisen bekannt war. K, S und P vereinbaren nunmehr, den A zu schlagen. Alle Drei vermummen sich in einer Ecke, die für A nicht einsehbar ist. S nimmt Pfefferspray und K und P Baseballschläger, um den A körperlich zu misshandeln.
A sitzt auf dem Parkplatz in seinen Wagen und hat den Motor aus. Nunmehr begeben sich K, S und P auf A zu. A sieht nun K, S und P und sagt erfreut zu G am Telefon: „Endlich kommen diese Zecken. Denen werde ich es zeigen. Ich werde sie ordentlich erschrecken.“
Nun lässt A den Motor an. K bemerkt dies und ruft: „Er will abhauen. Lasst ihn nicht entkommen.“ Sodann öffnet S den Sicherungsverschluss des Pfeffersprays. K, S und P gehen weiter auf A zu.
A fährt nunmehr mit seinen Auto auf die Drei zu. Dabei nimmt er mögliche Verletzungen durch ein leichtes Anfahren in Kauf. Er fährt aber allein deshalb auf die Drei zu, um sie zu erschrecken. Auch ist A die Gefährlichkeit seines Verhaltens bewusst. Die Geschwindigkeit, mit der A auf die Drei zufährt, birgt aber keinerlei Lebensgefahr. Statt auf K, S und P zuzufahren, hätte A aber auch die Möglichkeit gehabt, den Parkplatz auf der rechten Seite zu verlassen und davon zu fahren.
S und P können sich durch einen Sprung zur Seite vor einer Kollision mit den Auto retten und bleiben unverletzt. Dagegen springt K in Panik schnell zur Seite, fällt aber so unglücklich auf die Fahrbahn, dass er sich nicht nur Prellungen und Abschürfungen zuzieht, sondern auch noch in eine dort bereits liegende, zerbrochene Flasche stürzt. Hierdurch zieht er sich eine tiefe Schnittwunde an der Beinschlagader zu. Die Flasche hatte A zuvor nicht bemerkt.
Durch die tiefen Schnittverletzungen sieht A, der eine Vorbildung im Bereich als Rettungssanitäter besitzt, dass K alsbald ohne medizinische Hilfe verbluten wird. A hält sich für in der Lage dem K zu helfen. S und P drohen nun aus Wut über das, was mit K geschah, dem A damit, dass sie ihn töten werden. A weiß, dass, wenn K keine medizinische Hilfe erhält, er am Tatort verblutet. Gleichwohl setzt er sich aus Angst wegen der Drohung von S und P, die er zu Recht für Ernst nimmt, in sein Auto und fährt davon.
K kann am Tatort von P erstversorgt werden, der selbst Medizinstudent ist. Von Ps medizinischen Kenntnissen wusste A jedoch nichts.
Wenige Straßen weiter trifft A zufällig auf eine Polizeistreife. A hält deshalb an und offenbart sich den Beamten.
Strafbarkeit des A?
Straftaten zu Lasten von P und S sind nicht zu prüfen. Von der Prüfung ausgenommen waren §§ 240, 185, 221. Nur Straftaten des StGB waren zu prüfen.
Ich glaube, dass man hier nicht einszueins die Kenntnisse aus dem Urteil anwenden durfte, weil der Fall hier ja doch anders war: A fuhr zB ziemlich langsam auf die Angreifer zu; im Originalfall war er ja mit knapp 30kmh unterwegs. Ich hätte ungefähr folgendes geprüft:
A. 212, 22, 23 (-) Tatentschluss fehlt
B. 223, 224 I Nr.2,5
– 223 (+), 224 I Nr.2 (+) da nicht „mittels“, Nr.5 (-/+)
– 32 würde ich verneinen, weil hier Verteidigungswillen fehlte. Bis dahin würde ich 32 ansonsten bejahen, wenn auch zweifelhaft bzgl. Erforderlichkeit.Deswegen würde ich auch nicht – im Gegensatz zum Originalfall – auf 33 eingehen.
– daher i.E. 223(, 224 I Nr.5) (+)
C. 227,22,23 (-)
wegen 24 I 2 da er sich der Polizei offenbarte?
D. 315b I Nr.3
– verkehrsfremder inneneingriff
– Problem, ob 32 hier anwendbar ist erläutern. i.E. verteidigungswillen wie oben (-), daher 315b I Nr.3 (+)
E. 142
entweder TB bereits (-), da nicht typische gefahr des SV oder zumindest entschuldigt
Hat keiner von euch zum Schluss 212, 22, 23, 13 (versuchter Totschlag durch Unterlassen) bzw. noch unterlassene Hilfeleistung?
Leider bin ich erst als ich raus war auf den Verteidigungswillen gekommen. Hatte mich so auf die Gebotenheit mit ner Absichtsprovokation eingeschossen… Ging das einem von euch zufällig auch so?
LG
ich habe 323c nicht mehr geprüft. hätte man aber wohl sollen, aber dann an zumutbarkeit verneinen. über 212,22,23,13 habe ich auch noch nachgedacht, aber nicht mehr aufgeschrieben. ich habe so lange mit dem 32 gebraucht, dass ich kaum mehr zeit hatte.
gebotenheit habe ich erwähnt, diskutiert, aber abgelehnt und zwar mit dem argument, dass k,p,s nichts von dem internetbeiträgen wussten. sie kannten lediglich den a, mehr nicht.
ich muss leider zugeben, dass ich mir insb. den verteidigungswillen in den letzten wochen nicht mehr angeguckt habe. das war fatal. ich wusste nur, dass es einen streit gibt, aber ich habe kaum was erläutert, bis auf den sachverhalt aufgegriffen und gesagt, dass er ohne diesen handelte.
ich habe mehrere seiten bei 315b geschrieben, ob 32 anwendbar ist. das war für mich der schwerpunkt. versuch der erfolgsquali 227,22,23 habe ich auch wie Sara geprüft und dann dort irgendwie einen rücktritt bejaht.
Genau, mangels Zumutbarkeit (-). Ja den Rücktritt habe ich beim versuchten Totschlag am Ende auch so. Vollendungsverhinderung plus Streit wegen der optimalsten Rettungshandlung oder ob jede Handlung die zu einer abweichenden Kausalkette führt eine honorierbare Leistung darstellt.
Ich hoffe, das mit der Absichtsprovokation ist nicht allzu schlimm…
Den Verteidigungswillen hatte ich an sich ziemlich gut drauf inkl Streit, aber wenn man das Problem nicht sieht, dann ist es auch egal.
Du hast es aber auf jeden Fall gesehen und das wird sicher belohnt 😉
ich glaube, ich hätte nicht 227,22,23 prüfen dürfen, sondern 212,22,23,13. du hast also auch den rücktritt in 212,22,23,13 geprüft? hört sich zumindest logischer an als bei mir.
ich habe beim verteidigungswillen lediglich gesagt, ob ein vorsatz oder sogar eine absicht erf. ist und dann habe ich erläutert, dass dieser streit aber dahinstehen kann (mangels meines Wissens ^^), wenn es dem A einzig darauf ankam, die angreifer selbst anzugreifen/zu verletzen und a daher ohne den willen handelte, seine rechtsgüter zu verteidigen.
Ja genau, ich hab den Rücktritt dann bei 212, 22, 23, 13. Allerdings hab ich 24 I S. 1 Alt. 2. Ist aber glaub ich nicht richtig, weil der K ja auch so gerettet wurde durch P. …
Na da hast Du doch etwas Gutes geschrieben beim Vert.willen!
Hat Hemmer in seiner Rechtssprechungsübersicht im Strafrecht gehabt (in Berlin zumindest). Hier kam er leider nicht dran
Besprechungen finden sich auch in der JA und JuS.
– versuchten 227 gibts nach h.M. nicht…
– der Streit, wie sich ein Verteidigungswille auswirkt ist nicht so riesig und wird nur bei der Strafzumessung diskutiert (werden also die wenigsten haben) und sollte daher nicht so arg ins Gewicht fallen.
– Rücktritt vom versuchten Totschlag durch Unterlassen, hätte ich wohl nicht geprüft, da es dem Täter bei Unterlassensdelikten ja zumutbar sein muss zu handeln… sehe ich hier nicht unbedingt…
– denke im allgemeinen liegt der Schwerpunkt hier in der Diskussion ob ein Fall der Notwehrprovokation vorliegt oder nicht.
Das würde ich so nicht unterschreiben. Versuch der Erfolgsquali ist denkbar und sicherlich nicht falsch. Zumal es kein Argument ist, dass die hM diese Rechtsfigur ablehnt.
Ich sehe auch – wie die anderen oben – den Verteidigungswillen als einen wesentlichen Schwerpunkt.
Beim Unterlassen bin ich bei dir. Notwehrprovokation wohl auch, wobei ich diese nicht allein auf Grundlage der Gesinnung und den Beiträgen des A im Internet festmachen würde. Allein das Verhalten des A, dort mit seinem Auto zu stehen und als Lotse zu fungieren, stellt wohl kaum eine Notwehrprovokation dar. A hat K,P,S auch nicht auf den Rastplatz „geladen“, dann einen Angriff von ihnen erwartet und somit eine Notwehrlage für seine wahren Pläne ausgenutzt. Ich glaube aber, da kann man kaum was grob falsches machen. BG
Der fast nebenläufig erwähnte Hinweis auf die Sanitäterausbildung des A und dessen Unkenntnis bzgl der medizinischen „Fähigkeiten“ des P könnte dafür sprechen, dass §§212,22,23,13 nicht als bloßer „Nebenkriegsschauplatz“ erwartet wurden.
Garantenstellung (Berufliche Quali Streit aber Ingerenz), Problem des unmittelbaren Ansetzen zum unechten ULdelikt und die Diskussion um das Verstreichenlassen erster oder letzer Rettungsmöglichkeiten einfach mal frech am vermeintlichen Ende reingedrückt.
jap du hast recht. Habe ich in der klausur nicht geprüft. freude freude. Das gibt einen fetten Punkteabzug.
Ingerenz ist hier aber auch problematisch, wenn man die Notwehr (klausurtaktisch) nicht am fehlenden Verteidigungswillen scheitern lässt, denn bei rechtmäßigem Vorverhalten ist str., ob sich hieraus eine Garantenstellung aus Ingerenz ableiten lässt.