Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im Februar veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 StR 373/15
Ein großes Ausmaß im Sinne des Regelbeispiels von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO liegt – entsprechend der Regelbeispiele des Herbeiführens eines Vermögensverlusts großen Ausmaßes gemäß §§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 1. Var., 263a Abs. 2, 264 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 266 Abs. 2, 300 Satz 2 Nr. 1 StGB – bei jeder Steuerhinterziehung über 50.000 Euro vor. Eine Verdoppelung dieses Schwellenwertes bei Vorliegen eines sog. Gefährdungsschaden ist nicht zu begründen, da das Gesetz in § 370 AO nicht zwischen der Gefährdung des Steueranspruchs und dem Eintritt des Vermögensschadens beim Staat unterscheidet. Diese Gleichsetzung findet ihre Rechtfertigung darin, dass die falsche Steuerfestsetzung nahezu immer zu einem Schaden führen wird, weil eine nicht festgesetzte Steuer auch nicht beigetrieben werden kann und darf (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 4 StR 227/15
Wird über zwei Ordnungswidrigkeiten, die in Tatmehrheit stehen und jeweils mit einem Fahrverbot als Nebenfolge geahndet werden können, gleichzeitig entschieden, so ist nur ein einheitliches Fahrverbot zu verhängen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 20 OWiG, wonach die gesonderte Festsetzung bei Ordnungswidrigkeiten im Fall von Tatmehrheit (nur) für Geldbußen vorgesehen ist, wie auch aus der Entstehungsgeschichte der §§ 20 OWiG, 25 StVG und dem spezialpräventiven Charakter dieser Nebenfolge sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein solches Verständnis führt in systematischer Hinsicht zudem zu einem Gleichlauf mit dem strafrechtlichen Fahrverbot nach § 44 StGB, bei dem in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt ist, dass auch im Fall der Tatmehrheit gemäß § 53 StGB nur auf ein Fahrverbot zu erkennen ist (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
III. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 525/13
Gegen die Anwendung des Straftatbestandes des § 52 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG (Strafdrohung gegen das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind und gegen das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen) bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Namentlich wird Art. 103 Abs. 2 GG nicht dadurch verletzt, dass die vorgenannte Regelung als Erfordernis der Strafbarkeit eine Rückverweisung durch Rechtsverordnung (hier: § 6 Abs. 1 TabV, wonach einschränkend nur das gewerbsmäßige Inverkehrbringen erfasst wird) voraussetzt. Auch ein Verstoß wegen unverhältnismäßiger Einschränkung der Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 GG und ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da generell nur das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen zum anderweitigen oralen Gebrauch, nicht aber von solchen zum Rauchen oder Kauen bestraft wird, ist im Ergebnis zu verneinen, da hierfür besondere sachliche Gründe bestehen (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 StR 72/15
Nach der Rechtsprechung des BGH kann im Hinblick auf die deutlich erhöhte Strafdrohung in § 239a Abs. 3 (Erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge) – ähnlich wie beim Raub mit Todesfolge nach §251 StGB – von einer leichtfertigen Todesverursachung „durch die Tat“ nur dann ausgegangen werden, wenn nicht nur ein Ursachenzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie gegeben ist, sondern sich im Tod des Opfers auch tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergehen. Die nahe liegende Möglichkeit, dass ein nichtiger Anlass oder ein Missverständnis auf Grund anspannungsbedingter Fehleinschätzung zu einem Gewaltausbruch gegenüber dem Opfer führt (hier: Fehleinschätzung, dass das Opfer auf seinem Laptop eine Nachricht versendet hat und hierauf beruhende Schläge), kann dabei eine tatbestandstypische Gefahr im Sinne des § 239a Abs. 3 StGB darstellen. Denn aus einer sich über eine längere Dauer erstreckenden Bemächtigungslage können psychische Belastungen nicht nur für das Opfer, sondern auch für den Täter folgen, insbesondere wegen der Befürchtung entdeckt zu werden.
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Zum Schluss noch eine prozessuale Entscheidung, die sich mit einem zu Unrecht verworfenen Befangenheitsantrag und damit dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO beschäftigt:
V. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 – 3 StR 482/15
Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund des Inhalts seiner öffentlich zugänglichen Facebook-Seite, auf welcher er unter anderem auf einem Foto ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“ trägt, einen Kommentar mit den Worten „Das ist mein ‚Wenn du raus kommst, bin ich in Rente‘-Blick“ hinterlassen hat und auf der seine dienstliche Tätigkeit benannt wird, ist berechtigt. Denn hierdurch wird eine innere Haltung des betroffenen Richters dokumentiert, die bei verständiger Betrachtung besorgen lässt, dieser beurteile die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv, sondern habe Spaß an der Verhängung hoher Strafen und mache sich über die Angeklagten lustig. Die beschriebene Facebook-Seite enthält auch einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit des Richters und betrifft deshalb nicht lediglich dessen persönliche Verhältnisse.
Nur zu Fall Nr. 3, „VTabakG“: nach dem Urteilstatbestand scheint man
einen entsprechenden Vertrieb behördlich untersagt zu haben. Jedoch
scheint man aus Händlersicht auf Behördenseite sehenden Auges ohne Einschreiten über den anschließend tatsächlich fortdauernden Vertrieb
hinwegegangen zu sein. Solange eine unverzüglich gültig durchsetzbar geforderte
Vertriebseinstellung von Behördenseite gegenüber dem Händler nicht klarer deutlich gemacht war, kann damit quasi aus Händlersicht
eine Form von schlüssiger vorübergehend tolerierender behördlicher
Gestattung o.ä. möglich gewesen sein. Eine entsprechende behördliche
Gestattung kann u.U. bei tatsächlichem Vorliegen rechtfertigende Wirkung
entfalten. Insofern kann insoweit etwa noch ein
Erlaubnistatbestandsirrtum auf Seiten des Händlers als möglich gegeben denkbar erscheinen. Dieser kann, soweit aus Händlersicht behördlich der Sachverhalt
klar erkennbar gelegen haben kann, sogar im Zweifel eher unvermeidbar gewesen
sein. Insofern kann eine Starfbarkeit wegen vorsätzlichem Verstoß gegen
Tabkgesetze etwa eventell aufgrund Erlaubnistatbestandsirrtumes noch
fraglicher erscheinen.
(Man hat den Händler aus seiner Sicht behördlich erst sehendes Auges trotz Einschreitmöglichkeit längere Zeit unter Inkaufnahme von möglich scheinender zeitweiser Tolerierung bei eventuell noch unklarer Rechtslage gewähren lassen. Später möchte man diesen dann für diesen Gewährungszeitraum dafür staatlicherseits sogar kriminalrechtlich bestrafen. Das kann noch behördlich nahe problematisch widersprüchlich treuwidrig scheinen).