Öffentliches Recht ÖI – Oktober 2014 – 1. Staatsexamen NRW
Vielen Dank an Olaf für das Zusenden eines Gedächtnisprotokoll der ersten gelaufenen Klausur im Öffentlichen Recht des 1. Staatsexamens in NRW im Oktober 2014. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
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Sachverhalt
Die nordrhein-westfälische Landesregierung (L) möchte eine Änderung der Tarifordnung für Taxifahrer (TarifO) vornehmen. In den Großstädten K und D beschweren sich vermehrt ausländische Fahrgäste – gerade zur Zeit von dort stattfindenden Messen – dass eine Bezahlung der Taxifahrt per Kreditkarte nicht möglich sei, sie aber oft kein Bargeld dabei hätten.
Die für die Durchführung der TarifO zuständige Behörde hat die dort festgesetzten Beförderungsentgelte regelmäßig an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Die TarifO ist gestützt auf § 51 I 1 Personenbeförderungsgesetz (PBefG), wonach L auch zum Erlass zuständig ist. Von der Ermächtigung des § 51 I 3 PBefG hat L keinen Gebrauch gemacht.
L führt sodann in einem formell ordnungsgemäßen Verfahren einen § 10 in die TarifO mit folgendem Wortlaut ein:
- 10 – Taxenunternehmer sind verpflichtet, für Taxifahrten eine Zahlungsmöglichkeit per Kreditkarte anzubieten und dazu einen entsprechenden Vertrag mit den Unternehmen MasterCard, Visa oder American Express abzuschließen.
Zur Begründung gibt L an, dass die Karten dieser drei Unternehmen die gängigsten am Markt seien.
Die vertragliche Gestaltung sieht dabei so aus, dass Taxenunternehmen gegenüber den Kreditkartenunternehmen eine Verpflichtung eingehen, die Karten dieser Unternehmen von ihren Fahrgästen zu akzeptieren. Von jedem per Kreditkarte bezahlten Fahrtentgelt behalten Kartenunternehmen 5% ein. Einwendungen aus dem Beförderungsvertrag zwischen Taxenunternehmen und Fahrgästen schlagen nicht auf den Vertrag mit dem Kreditkartenunternehmen durch. Ein Widerrufsrecht gegen die Belastung der Karte durch das jeweilige Kreditkartenunternehmen steht dem Fahrgast nur zu, wenn er den entsprechenden Beleg nicht unterschrieben hat. Im Falle des Widerrufs haben die Taxenunternehmen den Kreditkartenunternehmen das Fahrtgeld zu erstatten.T ist ein Taxenunternehmen. Rechtlicher Sitz des Unternehmens sind die Niederlande. Es ist in einer der deutschen GmbH vergleichbaren Rechtsform organisiert. Der Schwerpunkt seiner Geschäftstätigkeit liegt in Deutschland und dort in NRW. Auch der Sitz der Geschäftsleitung ist in Deutschland.
T möchte gegen die Pflicht zur Einführung der Kreditkartenbezahlung vorgehen, da es fürchtet, anderenfalls seine Dienstleistung in NRW nicht mehr anbieten zu können. Es sieht sich durch die Regelung daher in seinen Grundrechten verletzt. Es zieht vor die Verwaltungsgerichte und erhebt Antrag auf Feststellung, dass § 10 TarifO nichtig sei, unterliegt aber in allen Instanzen. Die Gerichte führen aus: § 10 TarifO beruhe auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage. Ein etwaiger Eingriff in die Berufsfreiheit sei jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Nach § 8 II PBefG zähle auch der Verkehr mit Taxen zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), da er eine der in § 8 I PBefG genannten Verkehrsarten ergänze. Als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge stelle der ÖPNV ein überragend wichtiges Gemeingut dar.
L führte zudem im Prozess an, dass den Taxenunternehmen durch die Einführung des § 10 TarifO keine nennenswerten wirtschaftlichen Nachteile entstünden, da dies bereits in die Festsetzung der Entgelte durch die zuständige Behörde „eingepreist“ sei.
T meinte hingegen, dass die durch die TarifO eingeführte Pflicht zum Abschluss von Verträgen mit den Kreditkartenunternehmern ohne detaillierte Kenntnis von deren Inhalt schon gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße.
T erhebt zwei Wochen nach der letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung schriftlich und begründet Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Es möchte die Pflicht zur Einführung der Kreditkartenbezahlung beseitigen.
Fallfrage: Beurteilen sie die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde der T anhand von Zulässigkeit und Begründetheit.
Fortsetzungsfall
Auch das kleine Kreditkartenunternehmen B sieht sich durch § 10 TarifO in seinen Grundrechten beeinträchtigt. Es könne nicht angehen, dass nur die drei genannten großen Kreditkartenunternehmen in der Verordnung zugelassen werden. Es müsse doch den Taxenunternehmern freistehen, mit welchem Unternehmen sie einen entsprechenden Vertrag schließen.
Fallfrage: Ist § 10 TarifO mit Art. 3 GG vereinbar? Unabhängig vom Ergebnis zum Ausgangsfall ist dabei davon auszugehen, dass § 10 TarifO im Übrigen verfassungskonform ist.
Bearbeiterhinweis:
Alle aufgeworfenen Rechtsfragen sind, ggf. hilfsgutachterlich, zu beantworten. Es ist zu unterstellen, dass § 51 I 1 PBefG kompetenzgemäß und in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen ist. Soweit das letztinstanzliche Gericht zur Beachtung europarechtlicher Vorgaben verpflichtet gewesen sein sollte, ist ferner zu unterstellen, dass hierin jedenfalls kein Verfassungsverstoß zu sehen ist. Datenschutzrechtliche Bestimmungen sind nicht zu prüfen.
Kann jemand vllt ein paar Denkanstöße liefern? Danke Euch!
Lief heute auch in HH, nur ohne Fortsetzungsfall.
Lief auch ganz ähnlich in Berlin/Brandenburg
gibts Lösungsvorschläge? oder ein urteil?
Urteile habe ich nur zur Frage der Verpflichtung bzgl Akzeptanz von Kreditkarten gefunden, wo diese allerdings nicht aus der TarifO selbst, sondern bspw von Vereinigungen festgelegt wurden. Diese waren regelmäßig rechtswidrig, eben weil die TarifO eine solche Pflicht nicht vorsah.
Habe eine Urteilsverfassungsbeschwerde geprüft. Bei Begründetheit habe ich Art. 12 I, 14 I (Kunden-/Geschäftsdaten) 3 I (gleiche Kosten fur alle Kunden) und 2 I (Privatautonomie) geprüft, wobei der Schwerpunkt auf Art. 12 I liegt. Bei Art. 2 I habe ich aber nicht die informationelle Selbstbestimmung bzgl der personenbezogenen daten der kunden geprüft (T ist nicht beschwerdebefugt). Auf Rechtfertigungsebene: Eingriff auf Stufe 1 – jede vernünftige Erwägung des Allgemeinwohls. verfassungsmäßigkeit des Urteils, der TarifO und des 51 I PBefG geprüft. Insb die TarifO ist bei mir verfassungsgemäß, insb formell i.o., weil die Nichtbeteiligung der Stadt Hannover entbehrlich war und eine Subdelegation nach 51 I PBefG ebenfalls möglich ist. I.R.d. VHM musste ich mich ziemlich quälen, was gute Argumente anging. Hab letztlich mit der Einheitlichkeit der Zahlungsweise, dem Schutz der Fahrgäste, Steigerung der Attraktivität der Taxen argumentiert und alle GG als gewahrt angesehen.
Wie kann man die Entbehrlichkeit der Anhörung der Stadt begründen?
Das steht in par. 51 III i.V.m. par. 14 III PBefG. Hab gesagt, dass eine Beteiligung der Stadt keinen Mehrwert bzgl der Sachverhaltsaufklärung bringt und daher entbehrlich ist.
Ok. Klausurtaktisch war es sinnvoll, da eine Ausnahme anzunehmen. Der Gedanke mit der SV-Aufklärung wird wohl in der Tat zutreffend sein. Der SV enthielt aber irgendwie kaum Angaben dazu, oder?
Ja, der SV war da etwas dünn. Aber dann hilft die Devise „mangels gegenteiliger Angaben im SV“ 🙂
Welche Grundrechte hast Du so geprüft?
Wieso denn Urteils-VB? Richtet sich die VB nicht gegen § 10 TarifO?
Nein, der Eingriff ist der letztinstanzliche Akt der Judikative, mithin liegt eine Urteils- VB vor.
Hätte vor 51 I PBefG noch Art. 80 GG geprüft werden müssen?