Fall Wulff: Status Quo – Ein Prüfungsgespräch
Ebenso wie der „NSU-Prozess“ bietet auch der „Fall Wulff“ mannigfaltige Möglichkeiten, ein Prüfungsgespräch einzuleiten bzw. zu gestalten. Der Vorsitzende des zuständigen LG Hannover hat am gestrigen Tage verlauten lassen, dass in genanntem Verfahren womöglich eine Einstellung gem. § 153 StPO in Frage käme. Grund genug für uns und Euch, sich nochmals mit den rechtlichen Aspekten des Falles Wulff auseinanderzusetzen – auch hier wieder im Rahmen eines Prüfungsgespräches.
Meine Damen und Herren, die causa Wulff dürfte Ihnen allen ein Begriff sein. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff muss sich seit dem 14.11.2013 vor dem LG Hannover verantworten. Warum entscheidet hier denn das Landgericht, Kommt Ihnen das auf den ersten Blick seltsam vor?
Wenn ich Sie richtig verstehe, fragen Sie nach der sachlichen Zuständigkeit der Strafgerichte. Diese ist im GVG geregelt. In Frage kommt hier nur die Zuständigkeit des Landgerichts oder des Amtsgerichts. Christian Wulff ist vorliegend – soweit ich mich erinnere – wegen Bestechlichkeit angeklagt, § 332 StGB. Mit Blick auf das dort genannte Strafmaß liegt hier kein Verbrechen im Sinne von § 12 Abs. 1 StGB vor. Die Zuständigkeit des LG gem. § 74 Abs. 1 Satz 1 GVG scheidet also aus. Gleichwohl wäre das LG zuständig, wenn hier eine Straferwartung von über 4 Jahren im Raum stünde, § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG.
Gut, und wie sehen Sie das mit der Straferwartung?
Bei der Straferwartung handelt es sich um eine Prognose, die Schuldfrage, be- und entlastende Umstände können also nur prognostiziert werden. Generell sieht § 332 StGB auch keine maximale Freiheitsstrafe von 5 Jahren vor. Gleichwohl muss hier beachtet werden, dass wohl auch ein minder schwerer Fall in Betracht kommt, besonders hinsichtlich der gesamten Umstände und der in Streit stehenden Geldsumme i.H.v. 500 €. Jedenfalls dürfte Herr Wulff nicht vorbestraft sein. Eine nahezu maximal mögliche Straferwartung von 4 Jahren ist daher hier gerade nicht zu erwarten.
Wer wäre also grundsätzlich zuständig?
Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 GVG das Amtsgericht und gem. § 25 Nr. 2 GVG wohl auch nur der Strafrichter.
Lassen Sie mich hier kurz unterbrechen. Angenommen, hier entscheidet mit dem LG das sachlich unzuständige Gericht. Bliebe das folgenlos, bspw. im Rahmen einer Revision?
Nein, denn die sachliche Zuständigkeitsvoraussetzung ist eine Verfahrensvoraussetzung. Das Revisionsgericht prüft diese Voraussetzung von Amts wegen.
So ist es. Aber nun zurück zu unserem Amtsrichter am AG Hannover – können Sie sich das vorstellen? Die gesamte bundesdeutsche Presse in einem kleinen Sitzungssaal und dazu ein Rechtsreferendar als Anklagevertreter?
Nein, eher nicht – es bestünde hier ja noch eine Möglichkeit, die Sache vor dem LG verhandeln zu lassen. Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG ist diese Möglichkeit gegeben wegen unter anderem des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung. Beide Aspekte dürften auf den Fall zutreffen. Denn laut Medienberichten waren zahlreiche Staatsanwälte am Ermittlungsverfahren beteiligt, was auf einen großen Umfang der Ermittlungsakte schließen lässt. Zudem werden vor dem LG zahlreiche Zeugen vernommen. Ein großer Umfang ist gegeben. Weiterhin wird mit Christian Wulff ein ehemaliger Bundespräsident angeklagt, ein bisher einmaliger Vorgang. Eine besondere öffentliche Bedeutung ist gegeben. Der Tatbestand spricht ja insoweit gerade nicht von einer bloßen „rechtlichen“ Bedeutung. Die StA durfte die Sache also vor dem LG anklagen.
Gut herausgearbeitet! Sie haben das Ermittlungsverfahren angesprochen. Worum geht es denn in diesem Verfahrensabschnitt?
Das Ermittlungsverfahren ist maßgeblich geregelt in den §§ 151-177 StPO. Es dient der Erforschung des Sachverhalts durch die StA (§ 161 StPO) und die Polizei (§ 163 StPO). Beim Vorliegen eines Anfangsverdachts werden die Behörden ermittelnd tätig. Kommt die StA zum Ergebnis, dass ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, dann wird Anklage erhoben gem. § 170 Abs. 1 StPO.
Gut, aber darf denn gegen einen amtierenden Bundespräsidenten einfach so ermittelt werden und welche Besonderheiten gibt es?
Wir dürfen hier auf unseren Artikel zur Immunität im Fall Wulff verweisen.
Zudem wäre der Bundespräsident in seiner Wohnung zu vernehmen, § 49 StPO. Aber mittlerweile ist er ja nicht mehr Amtsinhaber.
Richtig. Nun haben Sie gesagt, dass die StA im Falle eines hinreichenden Tatverdachts Anklage erhebt gem. § 170 Abs. 1 StPO. Ist das denn ihre Pflicht?
Sollte die StA einen hinreichenden Tatverdacht ermittelt haben, dann ist sie nach dem Legalitätsprinzip generell zur Anklageerhebung verpflichtet, sog. Anklagezwang. Es gilt also nicht das Opportunitätsprinzip, wie bspw. im OWiG, dort geregelt in § 47 Abs. 1 OWiG. Andererseits kann die StA ein Ermittlungsverfahren auch aus Gründen der Opportunität einstellen, insbesondere nach den §§ 153 ff. StPO. Diese Einstellungsmöglichkeit sind in der Praxis vielleicht häufig anzutreffen, sind aber rechtlich gesehen die Ausnahme vom Anklagezwang. Zu nennen sind insbesondere die Einstellung wegen Geringfügigkeit und die Einstellung gegen Auflagen, § 153 und 153a StPO.
Und wie war es im Fall Wulff, wenn Sie sich erinnern können?
Ich meine, dass die StA Hannover hier eine Einstellung gem. § 153a StPO in Aussicht gestellt hat gegen Zahlung von 20.000 €.
Da erinnern Sie sich richtig. Warum wird das für Herrn Wulff aber offensichtlich wenig attraktiv gewesen sein bzw. wo ist der „Haken“, wenn man das mal so sagen kann?
Der Haken wäre darin zu sehen, dass eine Einstellung nicht bedeutet, dass der Betroffene unschuldig ist, vor allem nicht im Rahmen von § 153a StPO. Im Gegenteil: hier wird die Schuld durch die StA positiv festgestellt und diese muss noch nicht einmal geringfügig sein wie in § 153 StPO.
So dürfte es aus Sicht von Herrn Wulff gewesen sein, richtig. Nun ist den aktuellen Nachrichten zu entnehmen, dass der vorsitzende Richter am LG Hannover seine Meinung geäußert hat, dass eine Einstellung nach § 153 StPO in Frage käme. Kann das Gericht nun einfach einstellen?
Nein. Denn vorliegend wurde bereits die Hauptverhandlung eröffnet bzw. die Klage erhoben gem. § 153 Abs. 2 StPO. Erforderlich ist die Zustimmung der StA und des Angeklagten. Soweit ich es in Erinnerung habe, haben beide Seiten angedeutet, diese nicht zu erteilen. Herr Wulff möchte offensichtlich auf einen Freispruch hinaus. Das dürfte zum jetzigen Zeitpunkt und nach den Äußerungen der Kammer auch naheliegen.
Gut. Rein rechtlich gesehen. Woran könnte eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO ebenfalls scheitern?
Gemäß § 153 Abs. 1 StPO liegt ein Vergehen vor. Die Schuld ist auch als gering anzusehen, wobei das natürlich Tatfrage ist. Unterstellt dem wäre so, müsste aber kein öffentliches Interesse an der Verfolgung vorliegen.
Das öffentliche Interesse kann nicht nur deshalb bejaht werden, weil ein Prominenter beschuldigt ist o. weil „die Tat eine besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden hat u. in den Medien erörtert worden ist.
Graf in Beck-OK, § 153 StPO, Rn. 21.
Hinzu kommt allerdings, dass es sich hier um den ehemals ersten Mann im Staate gehandelt hat. Andererseits war Christian Wulff zum Zeitpunkt der Tatvorwürfe „nur“ Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Vorliegend sind allerdings auch Belange der Allgemeinheit betroffen, wenn ein demokratisch legitimierter Politiker aufgrund von Umständen angeklagt wird, die in seiner Amtsführung und nicht seiner Privatsphäre liegen. Im Hinblick auf die Spezialprävention dürfte zumindest festgehalten werden, dass Herr Wulff derzeit kein Politiker ist, auch nicht vorbestraft ist und dass wohl keine besonderen Gründe für eine gesteigerte Spezialprävention ersichtlich sind. Ein Interesse an einer Generalprävention könnte man herleiten aus dem Interesse der Bevölkerung daran, dass auch Volksvertretern vor Augen geführt wird, dass angebliche Verstöße gegen Strafvorschriften auch hier konsequent verfolgt werden.
Danke, die Prüfung ist beendet.
Fazit: Auch der Fall Wulff ist natürlich eine Fundgrube für jeden Prüfer. Die Möglichkeiten von StA und Gericht zum Abschluss des jeweiligen Verfahrens sind klassische Fragen im 1. und 2. Examen.
dieses ewige „vorliegend“ schrecklich!
Der ganze Zinober hier ist schrecklich….
„…dass wohl auch ein minder schwerer Fall in Betracht kommt, besonders
hinsichtlich der gesamten Umstände und der in Streit stehenden Geldsumme
i.H.v. 500 €“
Lehrreiche Rubrik, aber diese in der Presse übliche Schlussfolgerung sollte in einer Anleitung für Prüflinge keinesfalls so stehen. Der Tatbestand des § 332 lässt sich nicht auf einen Streit um die Bestechungssumme reduzieren: erstens dogmatisch falsch, zweitens eine unglücklich ans Zivilrecht angelehnte Formulierung. Zu kontern wäre, dass zu den „gesamten Umständen“ die mögliche Veranlassung bzw. Lenkung von Filmförderung in Millionenhöhe zählt.
An der Formulierung der gesamten Umstände kann ich auch bei genauerem Hinsehen nichts Falsches finden. Ein kurzer Blick in den Kommentar ergibt das Folgende:
„Ein minder schwerer Fall ist dann anzunehmen, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, welches die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheinen lässt.“
MüKo/Kotz, § 29a BtMG, Rn. 129.
Ich nehme nicht an, dass das im Rahmen von § 332 StGB wesentlich anders bestimmt wird. Wenn es um das „in Streit stehend“ geht….geschenkt.
Zuzugeben ist allerdings, dass hier auch weitere Umstände, wie die genannte Höhe der Filmförderung in den Fokus zu nehmen wären.
vielen dank simon, bitte mehr davon!
Vielen Dank!
Also, wäre das jetzt ein 15 Punkte Prüfungsgespräch…?
Schwierig zu sagen. Ob das im Einzelfall an Antworten ausreicht, vermögen wird nicht mit Sicherheit zu prognostizieren. Vielmehr sollen die Artikel – wie eigentlich alle Artikel bei Juraexamen.info – auch zum eigenen Denken/Überlegen/Assoziieren anregen. Also durchaus eine Starthilfe, aber sicher keine abschließende Musterlösung.
Guter Beitrag zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung im Januar! Danke!
Ist Wulff nicht letztich nur wegen Vorteilsannahme angeklagt?