Der EGMR hat am 26.06.2012 ein aufsehenerregendes Urteil (Beschwerdenummer 9300/07) gefällt, das sowohl für die Praxis aber vor allem auch für das juristische Examen von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist (Pressemitteilung). Es geht dabei um die Zulässigkeit der deutschen Regelungen zum Jagdrecht und insbesondere um die Zulässigkeit der Zwangsbildung einer Jagdgenossenschaft und dem Bestehen eines gemeinsamen Jagdbezirks. Die Rechtsprechung ist deshalb von sehr hoher Bedeutung, da sie sich (teilweise) gegen ein entsprechendes Urteil des BVerfG vom 13.12.2006 (1 BvR 2084/05) wendet. Ohne sich weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man diese Konstellation damit als absoluten Pflichtstoff für die Klausur bezeichnen.
Entscheidend sind folgende Normen:
§ 7 Abs. 1 Satz 1 BJagdG: Zusammenhängende Grundflächen mit einer land-, forst- oder fischereiwirtschaftlich nutzbaren Fläche von 75 Hektar an, die im Eigentum ein und derselben Person oder einer Personengemeinschaft stehen, bilden einen Eigenjagdbezirk.
§ 8 Abs. 1 BJagdG: Alle Grundflächen einer Gemeinde oder abgesonderten Gemarkung, die nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehören, bilden einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk, wenn sie im Zusammenhang mindestens 150 Hektar umfassen.§ 9 Abs. 1 Satz 1 BJagd G: Die Eigentümer der Grundflächen, die zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören, bilden eine Jagdgenossenschaft.§ 8 Abs. 5 BJagdG: In gemeinschaftlichen Jagdbezirken steht die Ausübung des Jagdrechts der Jagdgenossenschaft zu.
Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weitergehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. Der Kernbereich der Eigentumsgarantie darf dabei nicht ausgehöhlt werden. Zu diesem gehört sowohl die Privatnützigkeit, also die Zuordnung des Eigentumsobjekts zu einem Rechtsträger, dem es als Grundlage privater Initiative von Nutzen sein soll, als auch die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand.
Mit dem Jagdausübungsrecht wird dem Beschwerdeführer nur ein inhaltlich klar umrissener, begrenzter Teil der Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten genommen, die ihm sein Grundeigentum einräumt. Dem Beschwerdeführer verbleibt auch nach Übergang des Jagdausübungsrechts auf die Jagdgenossenschaft eine Rechtsposition, die den Namen „Eigentum“ noch verdient (vgl. nur BVerfGE 24, 367 <389>).
Auch das in Art. 20 a GG aufgenommene Staatsziel des Tierschutzes führt zu keiner anderen Beurteilung. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mit seiner Einfügung in Art. 20 a GG vornehmlich den ethisch begründeten Schutz des Tieres als je eigenes Lebewesen (vgl. dazu BVerfGE 104, 337 <347>) stärken wollen, wie er bereits bisher Gegenstand des Tierschutzgesetzes war (vgl. BTDrucks 14/8860, S. 1; 14/8360, S. 1). Zu Recht weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz daher nur Einfluss auf die Art und Weise der Jagdausübung haben, nicht aber die Legitimität der mit den angegriffenen Bestimmungen des Jagdrechts verfolgten Ziele einer dem Gemeinwohl verpflichteten Jagd und Hege in Frage stellen kann.
Würde man einzelnen oder allen Eigentümern das Jagdrecht zur freien Ausübung belassen, bedürfte es – um die genannten Jagd- und Hegeziele zu erreichen – eines voraussichtlich erheblich höheren Regelungs- und Überwachungsaufwands durch den Staat, als dies gegenwärtig gegenüber den auch selbstverwaltend tätigen Jagdgenossenschaften der Fall ist. Ein solches System dürfte zumindest nicht geringere Belastungen des Grundeigentums mit sich bringen als das gegenwärtige.
Der Schutzbereich der durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Vereinigungsfreiheit ist schon nicht berührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts garantiert die Vereinigungsfreiheit nur das Recht, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben (BVerfGE 10, 89 <102>; 15, 235 <239>; 38, 281 <297 f.>). Eine Anwendung des Grundrechts auf öffentlich-rechtliche Zwangszusammenschlüsse scheidet aus. Dies folgt nicht zuletzt aus der Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 1 GG (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 -, NVwZ 2002, S. 335 <336>).
Der Gewissensfreiheit des Beschwerdeführers stehen mithin kollidierende Verfassungsgüter aus Art. 14 GG und Art. 20 a GG gegenüber. Es handelt sich dabei um die gleichen, auf verfassungsrechtliche Wertentscheidungen rückführbaren Ziele des Jagdrechts, die auch die jagdrechtliche Inhalts- und Schrankenbestimmung des Grundeigentums rechtfertigen.
Zwangsverbände sind danach nur zulässig, wenn sie öffentlichen Aufgaben dienen und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig ist. Voraussetzung für die Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Verbands mit Zwangsmitgliedschaft ist, dass der Verband legitime öffentliche Aufgaben erfüllt.
Art. 1 EMRK Schutz des Eigentums: Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.
Absatz 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.
Im Übrigen sieht die Gesetzgebung in allen drei Ländern bestimmte räumliche und personenbezogene Ausnahmen vor. So sind Natur- und Wildschutzgebiete in Frankreich und Deutschland von Jagdbezirken ausgeschlossen. In Frankreich und Luxemburg sind staatlicher Grundbesitz bzw. Land im Eigentum des Großherzogs von Jagdbezirken ausgeschlossen, während es in Deutschland unterschiedliche Regelungen je nach Größe des Grundeigentums gibt.
In Deutschland muss der Anspruch auf eine solche Auszahlung ausdrücklich geltend gemacht werden. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die Verpflichtung eines Jagdgegners, für die von ihm abgelehnte Tätigkeit eine Entschädigung geltend zu machen, nicht mit der Achtung für die Ablehnung der Jagd aus Gewissensgründen in Einklang zu bringen war. Es war zweifelhaft, ob tiefe persönliche Überzeugungen durch eine Entschädigungszahlung aufzuwiegen waren.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die auf dem Jagdgesetz des Landes Rheinland-Pfalz beruhenden Jagdgenossenschaften als Einrichtungen des öffentlichen Rechts anzusehen sind. Folglich ist Artikel 11 der Konvention in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar.
- Die Argumente des EGMR könnten durch den Kläger im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde vorgebracht werden und damit suggeriert werden, dass es noch kein Urteil des EGMR gibt. In der Klausur müsste man sich damit nur fragen, ob diese Argumente plausibel sind. In der Besprechung wurde bereits versucht hierauf einzugehen.
- Ebensogut ist es aber möglich, die „alte“ Verfassungsbeschwerde ohne die Argumente des EGMR abzuprüfen (wer diese dann trotzdem ansatzweise bringt, ist natürlich umso besser zu bewerten) und eine Zusatzfrage zu stellen, was passiert, wenn die Verfassungsbeschwerde unbegründet ist, der EGMR aber eine Verletzung mit der EMRK feststellt. Kernfrage wäre dann, wie ein deutsches Gericht bzw. das BVerfG die Entscheidung einzubeziehen hat.
Zur Bindung an Gesetz und Recht gehört aber auch die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können deshalb gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen.Die über das Zustimmungsgesetz ausgelöste Pflicht zur Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs erfordert zumindest, dass die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis genommen werden und in den Willensbildungsprozess des zu einer Entscheidung berufenen Gerichts, der zuständigen Behörde oder des Gesetzgebers einfließen.
Vor diesem Hintergrund muss es jedenfalls möglich sein, gestützt auf das einschlägige Grundrecht, in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu rügen, staatliche Organe hätten eine Entscheidung des Gerichtshofs missachtet oder nicht berücksichtigt. Dabei steht das Grundrecht in einem engen Zusammenhang mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vorrang des Gesetzes, nach dem alle staatlichen Organe im Rahmen ihrer Zuständigkeit an Gesetz und Recht gebunden sind (vgl. BVerfGE 6, 32 <41>)
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