BGH: Brandneues zur Beweislastumkehr nach § 476 BGB
Das „neue“ Schuldrecht ist zwar dabei, den Kinderschuhen langsam zu entwachsen, dennoch bestehen noch an vielen Stellen Unklarheiten, die für eine Examensklausur prädestiniert sind. Besonders relevant ist in diesem Kontext die Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf nach § 476 BGB. Der BGH hat nun in einem aktuellen Urteil (BGH v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15) als Reaktion auf ein Urteil des EuGH (EuGH v. 04.06.2015 – C-497/13 – Faber) eine Neujustierung seiner Rechtsprechung vorgenommen, der tatsächlich das Prädikat „extrem examensrelevant“ verliehen werden kann.
I. Die Vorgeschichte
Die Norm des § 476 BGB postuliert in vermeintlicher Klarheit:
Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel, so wird vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar.
Dennoch birgt die Regelung eine Vielzahl von Problemen. Insbesondere ist umstritten, wann das Auftreten eines Sachmangels anzunehmen ist und wann eine Unvereinbarkeit eines solchen Mangels mit der Art der Sache vorliegt. Besondere Bedeutung hat für diese Regelung auch das Unionsrecht. Der Beweislastumkehr liegt die Regelung in Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG zugrunde, die bestimmt:
Bis zum Beweis des Gegenteils wird vermutet, daß Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar werden, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art des Gutes oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar.
„wenn der Verbraucher den Beweis erbringt, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist und dass die fragliche Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar geworden ist, d. h., sich ihr Vorliegen tatsächlich herausgestellt hat. Der Verbraucher muss weder den Grund der Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass deren Ursprung dem Verkäufer zuzurechnen ist.“
„der Verkäufer rechtlich hinreichend nachweist, dass der Grund oder Ursprung der Vertragswidrigkeit in einem Umstand liegt, der nach der Lieferung des Gutes eingetreten ist.“
Denn nach der Rechtsprechung des BGH begründe diese Vorschrift lediglich eine in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung dahin, dass ein innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetretener Sachmangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen habe. Sie gelte dagegen nicht für die Frage, ob überhaupt ein Mangel vorliege. Wenn daher – wie hier – bereits nicht aufklärbar sei, dass der eingetretene Schaden auf eine vertragswidrige Beschaffenheit des Kaufgegenstands zurückzuführen sei, gehe dies zu Lasten des Käufers.
lediglich darzulegen und nachzuweisen, dass die erworbene Sache nicht den Qualitäts-, Leistungs- und Eignungsstandards einer Sache entspreche, die er zu erhalten nach dem Vertrag vernünftigerweise erwarten konnte. In richtlinienkonformer Auslegung des § 476 BGB lässt der BGH nunmehr die dort vorgesehene Vermutungswirkung bereits dann eingreifen, wenn dem Käufer der Nachweis gelinge, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine „Mangelerscheinung“) gezeigt habe.Dagegen müsse der Käufer fortan weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen sei, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers falle.
Danach komme dem Verbraucher die Vermutungswirkung des § 476 BGB fortan auch dahin zugute, dass der binnen sechs Monate nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen habe. Damit werde der Käufer – anders als bisher von der BGH-Rechtsprechung gefordert – des Nachweises enthoben, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel habe.
Er habe also darzulegen und nachzuweisen, dass ein Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil sie ihren Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt habe und ihm damit nicht zuzurechnen sei. Gelinge ihm diese Beweisführung – also der volle Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsachen – nicht hinreichend, greife zu Gunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB auch dann ein, wenn die Ursache für den mangelhaften Zustand oder der Zeitpunkt ihres Auftretens offengeblieben sei, also letztlich ungeklärt geblieben sei, ob überhaupt ein vom Verkäufer zu verantwortender Sachmangel vorlag.
Daneben verbleibe dem Verkäufer die Möglichkeit, sich darauf zu berufen und nachzuweisen, dass das Eingreifen der Beweislastumkehr des § 476 BGB ausnahmsweise bereits deswegen ausgeschlossen sei, weil die Vermutung, dass bereits bei Gefahrübergang im Ansatz ein Mangel vorlag, mit der Art der Sache oder eines derartigen Mangels unvereinbar sei (§ 476 BGB am Ende).
Prof. Lorenz feiert heute…
Ist es nicht aber fraglich, darüber in irgendeiner Weise einen Streit in der Klausur zu eröffnen? Aufgrund der Bindungswirkung des EuGH ex tunc wäre eine nähere Befassung doch schon fast contraproduktiv, weil nicht zielführend.
Absolut – eine Darstellung als e.A./a.A. halte ich in diesem Kontext auch für verfehlt – eben weil es den Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung gibt. Dennoch werden sicherlich viele Klausurersteller ein befassen mit der Thematik – und den unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten – wünschen. Ich würde dann eher dazu raten, die bisherige Sicht darzustellen und dann sagen, daran kann nicht festgehalten werden, wegen neuer Rechtsprechung des EuGH, die auch im deutschen Recht – im Rahmen der Auslegung – beachtet werden kann.