Wie den aktuellen Nachrichten zu entnehmen ist, wird der deutsche Energieversorger EON als erstes Unternehmen gegen das „Atommoratorium“ der Bundesregierung „klagen“. Mit der rechtlichen Analyse dieses heiklen Themas haben wir uns schon damals ausführlich befasst (zum Bezug zu Art. 20 Abs. 3 GG, zu § 19 AtomG).
Wo? Einerseits könnte man hier gegen die Anordnung der Stilllegung vorgehen. Anzurufen wären dann die zuständigen VG bzw. OVG. Hier will aber EON explizit gegen die Novelle des Atomgesetzes vorgehen, sodass eine Verfasssungsbeschwerde gegen dieses Gesetz statthaft ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. Wissen muss man hier natürlich, dass auch gegen formelle Gesetze (oder deren Änderung) eine Verfassungsbeschwerde statthaft ist. Hintergrund der Verfassungsbeschwerde ist vor allem ein Schadensersatzanspruch gegen die BRD, wenn sich in Karlsruhe die Verfassungswidrigkeit der Novellierung des AtomG herausstellen sollte.
Schon jetzt? Im Rahmen der Zulässigkeit muss gefragt werden, ob die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz überhaupt möglich ist, da der Bürger (bzw. das Unternehmen) sich ja erst gegen die behördlichen Anordnungen wehren könnte. Die Verfassungsbeschwerde ist also grundsätzlich subsidiär. In diesem Zusammenhang kann auch festgehalten werden, dass der Rechtsweg erschöpft werden muss, was streng genommen eher unter den Punkt der „Rechtswegerschöpfung“ fällt. Das BverfGG trifft diese Einschränkungen explizit in § 90 Abs. 2 Satz 1 BverfGG. Der Bürger muss also im Vorfeld alle zumutbaren Möglichkeiten ergreifen, um eine Rechtsverletzung zu verhindern. Die Ausnahme sieht aber § 90 Abs. 2 Satz 2 BverfGG vor: die Sache müsste eine allgemeine Bedeutung haben oder schwere und unabwendbare Nachteile für den Betroffenen bewirken. Hinsichtlich der allgemeinen Bedeutung muss festgehalten werden, dass der Kreis der betroffenen Energieunternehmen und damit der Kreis an Adressaten eher klein ist. Allerdings hat die Frage auch einen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Hintergrund, nicht zuletzt, da es um die Zukunft der Energieversorgung und auch um Fragen der öffentlichen Sicherheit geht. Hinsichtlich der zu erwartenden Nachteile für die betroffenen Unternehmen ist zu konstatieren, dass die Abschaltung der AKW zweifelsohne hohe wirtschaftliche Einbußen zur Folge hat. Diese ist ebenso nicht wieder rückgängig zu machen. Die Verweisung auf den zum Teil langwierigen Verwaltungsrechtsweg ist daher nicht zumutbar. Die Verfassungsbeschwerde ist damit zulässig.
Wann? Im Rahmen der Zulässigkeit muss insbesondere beachtet werden, dass die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz einer Frist unterliegt. Hier gilt gem. § 93 Abs. 3 BverfGG die Jahresfrist. Unbedingt beachten!
Schutzbereich und Eingriff Art. 12 GG: Nach den Meldungen stützt sich die Verfassungsbeschwerde ua. auf Art. 12 GG, also die Berufs- Gewerbefreiheit. Den Schutzbereich kann man in jedem Fall als berührt ansehen. Da EON auf vielen Feldern der Energieversorgung tätig ist, handelt es sich auf um eine Eingrenzung der Berufsausübung. Wäre hier ein Unternehmen betroffen, das nur AKW betreibt, läge die Sache anders. Die 3-Stufen Theorie zu Art. 12 GG muss also hier bekannt sein, sollte aber erst im Rahmen der Rechtfertigung zur „Anwendung“ kommen.
Schutzbereich und Eingriff Art. 14 GG: Ebenso beruft sich EON auf die Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 GG. Interessant wäre hier die Frage, ob es sich um eine Enteignung handelt oder eine Inhalts- und Schrankenbestimmung. Vorliegend geht es in erster Linie nicht darum, die AKW zu verstaatlichen oder den Eigentumstitel aufzuheben. Es geht „nur“ darum, dass die Anlagen nicht mehr ihrer Bestimmung nach genutzt werden dürfen, also grundsätzlich um eine (vollkommene) Einschränkung der Nutzung. Einerseits kann man der Ansicht sein, dass es sich lediglich um eine leere Hülle handelt, die für den Eigentümer nur Belastungen beinhaltet. Hier kann sich am Sachverhalt orientiert werden. Im Hinblick auf die AKW muss festgehalten werden, dass diese dann auch in Zukunft verpflichtend abgebaut werden müssen. Im Ergebnis sind die Unternehmen also verpflichtet, erstens die Nutzung ihrer Anlagen zu unterlassen und zweitens diese verpflichtend und im Ergebnis auf eigene Kosten in Zukunft zurückzubauen. Hier kann man mMn durchaus von einer Enteignung sprechen. Ansonsten ist jedenfalls eine Inhalts- und Schrankenbestimmung zu bejahen.
Rechtfertigung? Fraglich bleibt damit, ob die Eingriffe in Art. 12 bzw. 14 GG zu rechtfertigen sind. Hier sollen beiden Grundrechte zusammen geprüft werden, wobei zu beachten ist, dass im Rahmen von Art. 12 GG aufgrund der Einschränkung der Berufsausübung geringere Schranken gelten. Die Novellierung des Atomgesetzes und insbesondere die Nutzungsuntersagung verfolgt hier Zwecke der öffentlichen Sicherheit. Die Gefahr, die unzweifelhaft von AKW ausgeht, soll auf ein Minimum reduziert werden. Weiterhin kann der Zweck der Förderung der erneuerbaren Energien genannt werden. Gerade aber die öffentliche Sicherheit stellt den überragenden Zweck dar. Im Rahmen der Geeignetheit müsste auf den Sachverhalt geachtet werden. Eine absolute Ungeeignetheit kann jedenfalls nicht ausgemacht werden, sodass hier in jedem Fall die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers greift. Fraglich bleibt, ob die Novellierung erforderlich war, also von allen gleich geeigneten Mitteln das mildeste darstellt. Im Hinblick darauf, dass nur die älteren AKW abgeschaltet worden sind, mag man eine Erforderlichkeit noch bejahen. Andere Maßnahmen wie verschärfte Kontrollen oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen müssten als nicht gleich geeignet verworfen werden. Hier kann uU (!) das Beispiel Japan/Fukushima genannt werden. Fraglich ist dann letzten Endes, ob die Novellierung des AtomG auch verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Im Hinblick auf den Wendekurs der Bundesregierung einerseits und die Bedeutung der öffentlichen Sicherheit andererseits sind in der Klausur sicher eine Bejahung oder Verneinung denkbar. Wichtig sind die Argumente und die Abwägung. Handelt es sich um eine besondere Härte für EON? Öffentliche Sicherheit vs. Eigentum oder Nutzungsmöglichkeiten? Im Ergebnis ist auch zu beachten, dass die Frage nach der Atomkraft sehr politisch beeinflusst ist und die Fragen nach einer zukunftssicheren und effizienten Energieversorgung va. dem politischen Diskurs unterliegt, was die jeweiligen Programme der jetzigen und der vorangegangenen Bundesregierungen zeigen. Das BverfG wird sich hier womöglich, wie beim „Rettungsschirm“ etwas zurückhalten.
Mitnehmen sollte man aus dem Fall vor allem das Schema für die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz und die grundsätzlichen Argumente im „AKW Streit“, die sich aber auch aus dem Sachverhalt ergeben. Zur denkbaren Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG auch unser Artikel von Sommer 2011.
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