Am 19.7.2010 hatte das OLG Schleswig (Az. 3 W 47/10) entschieden, dass die Grundsätze der Anscheinsvollmacht Anwendung finden, wenn ein Bankkunde seine Zugangsdaten und seine TAN-Liste an einen Dritten weitergibt und dieser Dritte unter Nutzung des Zugangs des Kunden Überweisungen tätigt.
„[Nach den Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht ist] ist ein Verhalten wegen schuldhaft verursachten Rechtsscheins dann zuzurechnen, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters zwar nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der andere Teil annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Verhalten des Vertreters. Diese Grundsätze der Anscheinsvollmacht sind anwendbar, wenn ein Kunde des online-bankings seine online-PIN und die weiteren Zugangsdaten wie Kontonummer und nicht verbrauchte TAN an einen Dritten weitergibt und so selbst die Voraussetzung dafür schafft, dass der Dritte „unter fremder Nummer“ (Hanau, VersR 2005, 1215 ff) der Bank Anweisungen gibt, das Konto zu belasten. Selbst wenn die Befugnis des Dritten, Abbuchungen zu veranlassen, im Innenverhältnis begrenzt ist, greifen dann im Außenverhältnis zur Bank die genannten Rechtsscheinsgrundsätze (Gößmann in Schimansky u.a., Bankrechtshandbuch I, 2. A. 2001, § 55 Rn. 26; Hanau, a.a.O. jeweils m.w.N.; vgl. ähnlich bereits für die zurechenbar vom Anschlussinhaber verursachte missbräuchliche Nutzung eines BTX-Anschlusses OLG Oldenburg NJW 1993, 1400; siehe auch LG Berlin, Urt. v. 11.8.2009, 37 O 4/09, bei juris Rn. 15 sowie – jeweils für weitergegebene und missbräuchlich genutzte ebay-Kennung – LG Aachen NJW-RR 2007, 565 und Palandt/Ellenberger, BGB, 69. A. 2010, § 172 Rn. 18).“
Ein ganz schöner Fall für das mündliche Examen, weil hier auf der Basis allgemeiner Kenntnisse (Rechtsscheinvollmacht – was ist das? Gibt es eine solche überhaupt (a.A. Flume!)? Was sind die Voraussetzungen?) recht freie Argumentation möglich ist. Zu Beachten ist auch, dass es hier nicht um ein Handeln „in fremdem Namen“, sondern um ein Handeln unter fremden Namen (d.h. der Vertreter tritt als der Vertretene auf, Offenkundigkeitsprinzip nicht eingehalten) geht. Entsprechend sind die §§ 164ff. BGB nur analog anwendbar.
Diskutabel ist vor allem, inwiefern durch die (missbräuchliche) Nutzung eines fremden Benutzerkontos ein Rechtsschein entstehen kann. Mehrere Gerichte haben judiziert, dass der einfache Schutz eines Online-Kontos durch ein Passwort noch keine Rechtsscheinhaftung begründe, wenn der Kontoinhaber von einem Missbrauch durch Dritte keinerlei Kenntnis hatte bzw. diesen Missbrauch auch nicht verhindern konnte (OLG Hamm v. 16.11.2006 – 28 U 84/06 Rn. 22; OLG Köln v. 13.01.2009 – 19 U 120/05 Rn. 19 f.). Für die Haftung für Schutzrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstößen hat der BGH ausgeführt, dass wenn ein Dritter bei eBay ein fremdes Mitgliedskonto zu Schutzrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstößen nutzt, eine Haftung des Kontoinhabers in Betracht komme, wenn er das Mitgliedskonto nicht hinreichend vor fremden Zugriff geschützt hatte (BGHv. 11.03.2009 – I ZR 114/06, Rn. 16). Man kann darüber streiten, ob diese Wertung auf die Rechtsscheinvollmacht übertragbar ist.
Gegen die Annahme einer Anscheinsvollmacht in Konstellationen wie dem Online-Banking wurde außerdem vorgebracht, dass der andere Vertragspartner nicht von einer Vertretungssituation, also von der Vertretung seines Vertragspartners durch einen Dritten, ausgehe (vgl. Schöttler, jurisPR-ITR 17/2010 Anm. 5 m.w.N.). Inwiefern das gegen einen Rechtsschein spricht, ist mir freilich nicht klar. Zwar ist formal zuzugeben, dass kein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Bevollmächtigung entstehen kann. Jedoch muss auch der Rechtsschein für die Abgabe der Willenserklärung durch den Vertretenen ausreichen. Das zeigt sich schon daran, dass die h.M. auch im Falle fehlenden Erklärungsbewußtseins dem scheinbar Erklärenden die Willenserklärung zurechnet. Auch dabei stützt sie sich auf den äußeren Schein der Erklärung und die „Erklärungsfahrlässigkeit“ des Handelnen. Im vorliegenden Fall ist der äußere Tatbestand der Erklärung ihm in vergleichbarer Weise zuzurechnen. Außerdem ist in diesem Fall der scheinbaren Abgabe durch den Vertretenen selbst der Rechtsverkehr noch schutzwürdiger als im Falle der Vertretung: Wer weiß, dass ein Vertreter handelt, kann darauf verwiesen werden, das Risiko, dass dieser ohne Vertretungsmacht handelt, bewusst eingegangen zu sein. Handelt dagegen der Vertretene selbst, so fällt ein mögliches Risiko für die Wirksamkeit des Vertrages weg. Das Vertrauen darauf, dass die Willenserklärung von ihm stammt und wirksam ist, ist daher umso stärker.
In der Prüfung lässt sich die Problematik ohne weiteres mit den sogenannten Anweisungsfällen, also der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung im Dreipersonenverhältnis kombinieren – darum ging es auch beim OLG Schleswig:
Der Bankkunde A klagte gegen D, dem er die Daten überlassen hatte und der bei der Bank B Überweisungen vom Konto des A auf sein eigenes Konto angewiesen hatte, auf Rückzahlung dieser Zahlungen. Anspruchsgrundlage war § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Da die Anweisung im Verhältnis zur Bank wirksam erteilt wurde, ist diese zumindest vom Bereicherungsausgleich auszunehmen. Somit kommen nur Direktansprüche gegen D in Betracht. Das OLG hatte über den Antrag des A auf Prozesskostenhilfe im Prozess gegen D zu entscheiden. Wegen hinreichender Erfolgsaussichten (§ 114 ZPO) gewährte das OLG die Zahlungen.
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