Anforderungen an eine wirksame Wohnraumkündigung
Wir freuen uns sehr, heute einen Gastbeitrag von Jonas Lange, derzeit Rechtsreferendar am Landgericht Köln, veröffentlichen zu können. Der Beitrag befasst sich mit aktueller Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine Wohnraumkündigung.
I. Einleitung
Im 1. Staatsexamen an Bedeutung gewinnend, hat es im zweiten längst seinen festen Platz als Standardprüfungsstoff inne. Zudem ist es ein Teil des besonderen Schuldrechts, mit dem Studierende und Rechtsreferendare gleichermaßen auch abseits von Vorlesungen und Klausuren typischerweise in Berührung kommen (können) – das Mietrecht, speziell: das Kündigungsrecht über Wohnraum.
Gründe genug also, die zu dieser Thematik kürzlich ergangenen Entscheidungen des BGH zum Anlass zu nehmen, um das ordentliche Wohnraumkündigungsrecht des Vermieters zu beleuchten. Innerhalb einer Klausur wird die Frage der wirksamen Kündigung insbesondere bei der Prüfung eines möglichen Anspruchs des Vermieters gegen den Mieter auf Herausgabe des Mietobjekts gem. § 546 Abs.1 BGB zu diskutieren sein.
II. Rechtliche Grundlagen
Die Kündigung von Wohnraum bemisst sich nach den §§ 542, 543 BGB i.V.m. §§ 568 ff. BGB. Nach § 542 Abs.1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis nach den gesetzlichen Vorschriften kündigen, sofern es nicht auf bestimme Zeit geschlossen worden ist. Mietverhältnisse auf unbestimmte Zeit können mithin von beiden Parteien durch wirksame ordentliche oder wirksame außerordentliche Kündigung beendet werden. Sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung ist wirksam, wenn sie auf einem geeigneten Kündigungsrund beruht, formal ordnungsgemäß erklärt worden und nicht aufgrund besondere Umstände des Einzelfalles ausgeschlossen ist.
Die Formalien der ordentlichen Kündigung (Form – Frist – Inhalt) sind in den § 568 BGB, § 573c BGB geregelt. Als Gestaltungsrecht ist die Kündigung grundsätzlich bedingungsfeindlich. Ihre Erklärung wird mit Zugang wirksam.
Der Vermieter kann ferner nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, § 573 Abs.1 S.1 BGB (Ausn.: § 573a Abs.1 BGB). Ein berechtigtes Interesse zur ordentlichen Kündigung kann insb. aufgrund:
- nicht unerheblicher, schuldhafter Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Mieter,
- Eigenbedarfs des Vermieters oder
- der Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung des Grundstücks
gegeben sein, § 573 Abs.2 Nr.1-3.
Die Prüfung unbilliger Härte erfolgt auf Widerspruch des Vermieters gegen die Kündigung im Rahmen des § 574 BGB. Unbillige Härte liegt grundsätzlich vor, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts einen Nachteil (wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art) mit sich bringt, der die üblichen mit einem Umzug verbundenen Beschwernisse deutlich übersteigt und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht zumutbar ist.
III. Aktuelle Rechtsprechung des BGH
Der BGH hat sich im März diesen Jahres in gleich mehreren Entscheidungen zu den Voraussetzungen eines ordentlichen Kündigungsgrundes bzw. der unbilliger Härte einer Kündigung verhalten.
1. Urteil vom 29. März 2017 – Berufs- oder Geschäftsbedarf als anzuerkennendes Eigeninteresse (§ 573 Abs. 1 S. 1 BGB)?
Mit Urteil vom 29. März 2017 – VIII ZR 45/16 hat der BGH Leitlinien zum Umgang mit Wohnraumkündigungen wegen sog. Berufs- oder Geschäftsbedarfs gem. § 573 Abs.1 S.1 BGB formuliert und entschieden, dass es – entgegen verbreiteter Praxis – nicht zulässig ist, den Berufs- oder Geschäftsbedarf als ungeschriebene weitere Kategorie eines typischerweise anzuerkennenden Vermieterinteresses an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses zu behandeln. Vielmehr haben die Gerichte im Einzelfall festzustellen, ob ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses besteht.
Denn nur mit den typisierten Regeltatbeständen des § 573 Abs.2 BGB hat der Gesetzgeber für die praktisch bedeutsamsten Fallgruppen selbst geregelt, unter welchen Umständen der Erlangungswunsch des Vermieters Vorrang vor dem Bestandsinteresse des Mieters hat. Die Kündigung wegen Berufs- oder Geschäftsbedarfs unterfällt aber weder dem Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs, § 573 Abs. 2 Nr.2 BGB, noch dem der wirtschaftlichen Verwertung i.S. des § 573 Abs.2 Nr.3 BGB. Bei der mithin Anwendung findenden Generalklausel des § 573 Abs.1 S.1 BGB verlangt das Gesetz aber stets eine einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien. Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sind. Allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten sich dabei. Für das Interesse des Vermieters, seine Wohnung zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken selbst zu nutzen, lassen sich allerdings anhand bestimmter Fallgruppen grobe Leitlinien bilden:
- So weist der Entschluss eines Vermieters, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend einer geschäftlichen Tätigkeit nachzugehen (sog. Mischnutzung), eine größere Nähe zum Eigenbedarf nach § 573 Abs.2 Nr.2 BGB auf, da er in solchen Konstellationen in der Wohnung auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt begründen will. In diesen Fällen wird es regelmäßig ausreichen, dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde, was bei einer vernünftigen Abwägung der Lebens- und Berufsplanung des Vermieters häufig der Fall sein dürfte. Entsprechendes gilt, wenn die Mischnutzung durch den Ehegatten oder Lebenspartner des Vermieters erfolgen soll.
- Dagegen weisen Fälle, in denen der Vermieter oder sein Ehegatte/Lebenspartner die Wohnung ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken nutzen möchte, eine größere Nähe zur Verwertungskündigung nach § 573 Abs.2 Nr.3 BGB auf. Angesichts des Umstands, dass der Mieter allein aus geschäftlich motivierten Gründen von seinem räumlichen Lebensmittelpunkt verdrängt werden soll, muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, was etwa dann anzunehmen sein kann, wenn die geschäftliche Tätigkeit andernfalls nicht rentabel durchgeführt werden könnte oder die konkrete Lebensgestaltung die Nutzung der Mietwohnung erfordert (z.B. gesundheitliche Einschränkungen, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen).
2. Urteil vom 15. März 2017 – Umfang der Prüfpflicht der Gerichte mit den vom Mieter vorgetragenen Härtegründen (§ 574 Abs. 1 BGB)?
Mit Urteil vom 15. März 2017 – VIII ZR 270/15 hat der BGH zu der Frage Stellung bezogen, in welchem Umfang sich Gerichte mit den von Mietern vorgetragenen Härtegründen im Rahmen des § 574 Abs.1 BGB auseinanderzusetzen haben. Danach hat sich das angerufene Gericht in der gebotenen Weise, d.h. stets eigenständig (u.U. mittels eines Sachverständigen), eingehend und umfassend mit dem Inhalt der vorgetragenen Härten auseinanderzusetzen, die einen Verbleib in der Wohnung rechtfertigen könnten. Dieser Prüfpflicht kommt das Gericht insbesondere dann nicht nach, wenn es den Parteivortrag zu den Härtegründen lediglich formal als wahr unterstellt.
Gerade bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr seien die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen sowie den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Mache ein Mieter schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels geltend, müssten sich die Gerichte bei Fehlen eigener Sachkunde mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden seien, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichen könnten und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreten könnten. Erst dies versetze die Gerichte in einem solchen Fall in die Lage, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden seien, im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägung sachgerecht zu gewichten.
III. Fazit
Losgelöst von den behandelten Fällen sollte sich der Leser im Prüfungsfall stets vergegenwärtigen, dass sowohl § 573 BGB als auch § 574 BGB Ausfluss des sozialen Mietrechts sind.
Ursprünglich als Ausgleich der unterschiedlichen Marktstellungen von Vermieter und Mieter in Regionen mit besonderem Wohnungsbedarf gedacht, dient § 573 BGB mittlerweile dem allgemeinen Schutz des vertragstreuen Mieters vor dem Verlust seiner Wohnung als Mittelpunkt seiner Lebensführung. Die damit verbundene Einschränkung der Vermieterrechte findet in der Sozialpflichtigkeit des Eigentums aus Art 14 Abs.2 GG seine Rechtfertigung und Grenzen gleichermaßen. Ziel des § 574 BGB ist es, soziale Notstände des Einzelfalls, die sich aus persönlichen Umständen, oder im Zusammenhang mit der alten oder einer neuen Wohnung stehenden, ergeben können, abzuwenden. Wer dies berücksichtigt, wird auch andersgelagerte Fallkonstellationen sachgerecht lösen können.
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