AG München: Reiserecht aktuell – Fährüberfahrt mit Übernachtung ist kein Reisevertrag
Das Reiserecht ist ein im Examen äußerst beliebter Prüfungsbereich – gerade weil sich hier in einer handvoll Normen (§§ 651a – 651m BGB) eine Vielzahl von Problemen bündeln, die in der Klausur beherrscht werden sollten. Mit einer äußerst examensrelevanten Frage, anhand der auch allgemeine Grundsätze geprüft werden können, hat sich nun das AG München befasst (AG München vom 30.6.2016 -213 C 3921/16).
Zu klären war der Anwendungsbereich des Reisevertragsrechts und konkret, ob die Buchung einer Fährüberfahrt Genau/Tunis verbunden mit einer Übernachtung auf der Fähre ein Pauschalreise darstellt, die zur Anwendung der reisevertraglichen Normen und entsprechender Ersatzleistungen führen. Die Buchung erfolgte hier bei einem Automobilclub. Hier wurde – ohne Wissen des Reisenden – der ursprüngliche Reisetermin durch den Fährbetreiber vorverlegt, sodass der Reisende die Fähre verpasste. Der nächste Termin wäre erst nach weiteren vier Tagen gewesen. Die Wahrnehmung dieses Termins war dem Reisenden nicht möglich.
Der Kläger fordert von dem Automobilclub unter anderem Schadensersatz für die Kosten der Fährpassage, die Fahrtkosten samt Autobahnvignetten und Kosten für drei nutzlos verbrauchte Urlaubstage. Er ist der Meinung, dass der Automobilclub als Veranstalter der Schiffspassage aufgetreten sei und die Fährpassage als Pauschalreise einzuordnen sei. Außerdem sei der Automobilclub sein Vertragspartner beim Beförderungsvertrag. Der Automobilclub erstattete nur die Kosten für die Fähre. Bezüglich der übrigen Kosten war streitig, ob eine Erstattung erfolgen könne. Eine solche wäre im Rahmen des Reiserechts möglich.
I. Vorliegen Reisevertrag
Bekanntlich liegt ein Reisevertrag vor, wenn sich der Reiseveranstalter zur Erbringung einer Gesamtheit von Reiseleistungen (Reise) verpflichtet (§ 651a Abs. 1 BGB). Das AG lehnt das Vorliegen einer Vielzahl von Reiseleistungen ab.
Nach Auffassung des Amtsgerichts ist eine Fährverbindung keine Pauschalreise, auch dann nicht, wenn neben der Fahrzeugmitnahme eine Kabine gebucht wird. Unabhängig von einzelnen Leistungen stehe bei der Buchung einer Fährfahrt allein der Transport von A nach B im Vordergrund, den der Beförderte möglichst schnell und unkompliziert erbracht haben möchte. Weder komme der Leistung ein Erholungswert zu noch handele es sich um eine Reise im eigentlich Sinn mit auch nur zeitweisem Urlaubscharakter.
Auch wenn es sich hier um zwei Teilleistungen handelt, überwiegt der bloße Beförderungscharakter. ES handelt sich hierbei lediglich um unbedeutende Nebenleistungen. Hierzu sollten einige Fallgruppen bekannt sein. So sind auch Flüge mit Verpflegung und Bord-Entertainement nicht als ein Reisvertrag anzusehen. Gleiches gilt nach der wohl h.M. für Hotelübernachtungen mit Verpflegung (Voll- oder Halbpension) oder der Zurverfügungstellung einer Reiseleitung. Auch hierin liegen nur Nebenleistungen. Anderes gilt hingegen bei Kreuzfahrten, da hier gerade nicht nur der bloße Transport im Zentrum steht.
In Einzelfällen – die hier nicht relevant sind – kann sich zudem die analoge Anwendung des Reisevertragsrechts gebieten. Anerkannt ist dies bspw. bei Miete eines Ferienhauses, Bootes oder Wohnmobils (MüKOBGB/Tonner, § 651a BGB Rn. 28 ff.).
II. Überdies: Automobilclub kein Vertragspartner
Aber auch für die Haftung aus dem (nunmehr nach der Schwerpunkttheorie anzuwendenden) Beförderungsvertrag steht der Automobilclub nicht ein.
Wenn – wie hier – von Vornherein mangels Bündelung von Einzelleistungen kein Pauschalreisevertrag in Betracht komme, sondern lediglich eine einzelne Beförderungsleistung gebucht werde, liege es in aller Regel auf der Hand, dass ein Reisebüro lediglich vermittelnd tätig werde und nicht eine einzelne Beförderungsleistung in eigener Verantwortung – etwa als Reeder, Fluggesellschaft oder ähnliches Unternehmen – erbringen möchte.
III. Auch keine sonstige Haftung aus Pflichtverletzung
Der Automobilclub habe auch keine Sorgfalts- oder Informationspflichten verletzt. Der Beklagte wäre daher allenfalls dann zu einer entsprechenden Information des Klägers über eine Verlegung der Abfahrt verpflichtet gewesen, wenn die Reederei ihn diesbezüglich beauftragt hätte oder ihm diese Tatsache anderweitig bekannt geworden wäre bzw. der Kläger beim Beklagten zu der Buchung weitergehende Informationen, etwa auch zu den Details des Leistungserbringers, angefordert und somit nachvertragliche Informationspflichten ausgelöst hätte.
Aus den genannten Gründen bestand folglich keinerlei Anspruch gegen den Automobilclub – auch nicht auf Erstattung der Kosten für die Schiffspassage. Auch hierfür findet sich also nach dem Gesagten keine Anspruchsgrundlage.
Aber rein vom Verständnis her statuiert das Reiserecht keine verschuldensunabhängige Haftung wie etwa im Mietrecht für schon vorhandene Mängel? Es geht nur darum, dass es leichter ist, einen Schuldner ,,für alles“ zu haben?
Ja, und die Leistungsträger (§ 651a Abs. 2 BGB) sind aber Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) des Veranstalters, sodass die Haftung recht weit reicht.